Die neue Politik betritt das (Hai-) Fischbecken.
Übersetzung: Camilla Elle
Santiago López Petit beleuchtet die Spielräume der neuen Politik und damit das Haifischbecken, in das sich die KandidatInnen von den unabhängigen Listen in Spanien begeben haben. Mit den jüngsten Entwicklungen in Spanien und in Griechenland sollte der Moment gekommen sein, die bestehenden Institutionen und realpolitischen Mechanismen endgültig für unfähig zu erklären, eine Ordnung herbeizuführen, die dem Menschen und seinen Bedürfnissen gerecht wird. Und dennoch zählt der Versuch, bei sich zu bleiben und die realpolitischen Zwänge an ihre Grenzen zu führen.
Sie haben beschlossen, die Institutionen zu stürmen, da wir uns vor einer historischen Möglichkeit befanden. Sie haben beschlossen eine neue Politik in Gang zu bringen, und unversehens fanden sie sich in einem Fischbecken. Aber das Becken war kein Goldfischglas, wie es sich manche Zahnärzte ins Wartezimmer stellen, um den Patienten Ruhe und Gelassenheit zu vermitteln. In dem Becken wurden nicht einmal die Regeln befolgt, die die Haie selbst aufgestellt hatten. Bertolt Brecht hat uns gewarnt: „Wenn die Haifische Menschen wären ... würden die Theater auf dem Meeresgrund zeigen, wie heldenmütige Fischlein begeistert in die Haifischrachen schwimmen”. Zuerst gab es den Fall Monedero,¹ es folgte der Fall Zapata² ... In Barcelona werden Verfolgung und Abschuss beginnen, sobald es die Generalität interessiert.
In den siebziger Jahren, als die Arbeiterklasse ein politisches Subjekt war und fähig, sich zu organisieren und die eigene Autonomie zu erlangen, besann sich das Kapital auf die sogenannte Strategie der Spannung. Mithilfe blutiger Attentate faschistischer Gruppen, die den Abwässern des Staates entstiegen waren, führte man Dynamiken ein, die den Widerstand gegenüber der Macht lähmten. Der Fall Escala ist ein Beispiel für den Staatsterrorismus, der sehr erfolgreich ein Erstarken der CNT (Vereinigung anarchosyndikalistischen Gewerkschaften) verhinderte. Heute hingegen wird die politische Destabilisierung mithilfe der Kommunikationsmedien und der sozialen Netze betrieben. In kürzester Zeit werden die Personen und politischen Projekte, die die Notwendigkeit zum Wandel verteidigen, durch mediale Kampagnen, die eine konstante Sensation des Außergewöhnlichen kreieren, versenkt.
Aber: Um welche Art von Wandel handelt es sich? In den Wahlen von 1982 verblendete die von der PSOE (spanische sozialistische Arbeiterpartei) ausgegebene Losung „Für den Wandel” viele Menschen. In der Zeitschrift Indolencia, die in Verbindung mit der Arbeiterautonomie stand, schrieben wir: „Weder Wandel noch Austausch. Der sozialistische Sieg wird allein der Modernisierung des Staates dienen und die laufende kapitalistische Restrukturierung fortführen”. Und so kam es. Sehr schnell wurde die Frage: Wann werden unsere Freunde zu Feinden? zu einer rhetorischen Figur. Es genügte zu sehen, wie das Gesicht von Felipe Gónzalez zunehmend aufquoll. Viele Genossen und Genossinnen versichern, dass es jetzt anders, und dass diese linke Betrachtung ungerecht und verkehrt sei. Vielleicht stimmt das. Wir kennen viele der ProtagonistInnen seit langer Zeit und wissen um ihre Ehrlichkeit … aber der politische Spielraum, selbst für einen radikalen Reformismus, der nichts weiter als Gesetze erlässt und anwendet, der die Grundrechte verteidigt, ist äußerst gering. Die täglichen Angriffe gegen die Neuen in den Institutionen zu sehen genügt.
Gegenüber dieser Strategie des Verschleißes scheint der ideologische Kampf in den Vordergrund zurückzukehren. Daher die permanente Präsenz der neuen Führung in den Foren und Versammlungen. Und offensichtlich rührt auch daher die Notwendigkeit, den Diskurs auf das Äußerste zu vereinfachen. Aber in Wahrheit handelt es sich um eine ideologische Schlacht im Inneren der Ideologie. Das einzige Ziel der neuen Politik, das wirklich zählt, ist, die öffentliche Meinung zu gewinnen. Um den Wandel anzustoßen, ist es bedingungslose Voraussetzung, die Tagesordnung zu bestimmen. Ein äußerst problematisches Bestreben. In erster Linie, weil es kein eigentliches politisches Zentrum gibt, sondern, lediglich einen ebenso flüchtigen und opportunistischen Wähler, wie es die Botschaft selbst ist, die man ihm letztlich vermitteln will. In zweiter Hinsicht, weil die Politik und die Ideologie nicht mehr sind, was sie einmal waren. Die Ideologie hat sich in der Wirklichkeit der Lebensformen materialisiert: Autobahnen, Freizeitcenter, Einkaufscenter, etc. Die Politik ihrerseits hat sich verkehrt in neoliberale Gouvernementalität, in die bloße unternehmerische Verwaltung der Welt.
Deswegen ist der radikale Reformismus, obgleich seiner besten Intentionen, verdammt, bei symbolischen Gesten zu bleiben. Und die FreundInnen werden schlichtweg deshalb nicht zu Feinden, weil ihr Zugang zur Regierung eine andere Funktion hat, als sie die PSOE erfüllen musste.
Die sozialistische Partei musste die Drecksarbeit machen, die die Rechte unter Franco niemals ohne erheblichen Widerstand hätte umsetzen können. Die Krise verwalten, um die noch vorhandenen Gegenkräfte zu vernichten, die Gesellschaft entpolitisieren und vor allem, den neuen Parteienstaat legitimieren. Schließlich hatten sie den Weg zur neoliberalen Enthemmung zu glätten. Wenn die Unseren heute Zugang zu den Institutionen haben, ist es hingegen, um eine andere Funktion zu erfüllen. Was man sich von ihnen erhofft, ist das unmittelbare Scheitern. Scheitern als Konsequenz der eigenen Fehler und der wütenden Angriffe, denen sie ausgesetzt sind. Ihr Schicksal ist weniger der Verrat, als die (wenn auch widerwillige) Mitarbeit an der eigenen Ruine. Heutzutage sind die Staatsstreiche durch die Strategie des permanenten Verschleißes ersetzt worden. Eine Strategie der Destabilisierung, die Machtlosigkeit, Desorientierung und Verwirrung hervorrufen muss. Der Erfolg der Macht besteht einfach darin, zu zeigen, dass es keine Alternative im Fischbecken gibt und, dass unsere FreundInnen wie alle anderen sind – zukünftige Mitglieder der Kaste. 'Das ist alles, was es gibt' ist die Losung, die triumphieren muss. In der globalen Mobilisierung, im Theater des Lebens, in dem wir tätig sind, erledigt jeder Einzelne die Rolle, die ihm zugeordnet wurde. Hoffnungen machen und sie wieder zerstören, ist die Aufgabe, die die Unseren zu erfüllen haben, und für welche sie gerufen wurden. Am Ende wird der Alltag zur Normalität zurückkehren. Die Funktionäre des Kapitals, dieselben wie immer, werden herbei eilen, bereit, das Durcheinander aufzuräumen. Es gibt keine Alternative innerhalb des Beckens. Das stimmt. Aber wir können versuchen auszusteigen, wir können lernen in vollen Zügen zu atmen, bis sich unsere Lungen daran gewöhnen. Es ist nicht die Alternative, aus dem Becken auszusteigen. Damit jedoch eröffnet sich eine Alternative. Es ist eine Notwendigkeit. Die Notwendigkeit, die in das Nein eingeschrieben ist und mit welcher alles neu beginnt.
Die neue Politik wird niemals mit dem Fischbecken brechen, wenn sie sich in Partizipationsaufrufe flüchtet, in Beratungsgespräche im Internet oder das Bild einer respektablen und vernünftigen Person verfolgt, die sich im Spiegel der öffentlichen Meinung betrachtet. Ganz im Gegenteil, wenn die neue Politik die Regierung wirklich an ihre Grenzen führt – ohne zu täuschen, ohne Doppelzüngigkeit, mit dem Mut des Wissens, dass es kein Zurück gibt – wird sie beginnen, sich eine Position auf dem Kriegsfeld aufzubauen. Und dann, wenn die Stunde der Wahrheit gekommen ist, werden wir, – die wir nicht gewählt haben, die wir nur mit zugehaltener Nase wählen konnten, weil es in den Listen einige nicht gesellschaftsfähige Kandidaten der alten Linken gab – dann werden wir da sein. Ich habe mit Brecht begonnen, und möchte ebenso mit einem seiner Sätze, der uns sehr nützlich sein kann in dieser Zeit, schließen: „Es braucht Mut, um zu sagen, dass die Guten nicht besiegt wurden, weil sie gut, sondern weil sie schwach waren.”
1 Finanzskandal um den Podemos-Mitbegründer Juan Carlos Monedero, dem unter anderem seine Vergangenheit als Berater der venezolanischen Regierung des verstorbenen Hugo Chávez zulasten gelegt wurde. Fast schon im Stundentakt warteten Spaniens Online-Portale mit neuen Details zu Monederos Einkünften aus Büchern, Seminaren und Beratertätigkeiten auf. (Anm. Ü.)
2 Guillermo Zapata blieb als Kulturstadtrat nur zwei Tage im Amt, weil rassistische Tweets von 2011 einen Skandal auslösten. (Anm. Ü.)
Der Artikel ist Anfang Juni bei Diagonal erschienen.
Sie haben beschlossen, die Institutionen zu stürmen, da wir uns vor einer historischen Möglichkeit befanden. Sie haben beschlossen eine neue Politik in Gang zu bringen, und unversehens fanden sie sich in einem Fischbecken. Aber das Becken war kein Goldfischglas, wie es sich manche Zahnärzte ins Wartezimmer stellen, um den Patienten Ruhe und Gelassenheit zu vermitteln. In dem Becken wurden nicht einmal die Regeln befolgt, die die Haie selbst aufgestellt hatten. Bertolt Brecht hat uns gewarnt: „Wenn die Haifische Menschen wären ... würden die Theater auf dem Meeresgrund zeigen, wie heldenmütige Fischlein begeistert in die Haifischrachen schwimmen”. Zuerst gab es den Fall Monedero,¹ es folgte der Fall Zapata² ... In Barcelona werden Verfolgung und Abschuss beginnen, sobald es die Generalität interessiert.
In den siebziger Jahren, als die Arbeiterklasse ein politisches Subjekt war und fähig, sich zu organisieren und die eigene Autonomie zu erlangen, besann sich das Kapital auf die sogenannte Strategie der Spannung. Mithilfe blutiger Attentate faschistischer Gruppen, die den Abwässern des Staates entstiegen waren, führte man Dynamiken ein, die den Widerstand gegenüber der Macht lähmten. Der Fall Escala ist ein Beispiel für den Staatsterrorismus, der sehr erfolgreich ein Erstarken der CNT (Vereinigung anarchosyndikalistischen Gewerkschaften) verhinderte. Heute hingegen wird die politische Destabilisierung mithilfe der Kommunikationsmedien und der sozialen Netze betrieben. In kürzester Zeit werden die Personen und politischen Projekte, die die Notwendigkeit zum Wandel verteidigen, durch mediale Kampagnen, die eine konstante Sensation des Außergewöhnlichen kreieren, versenkt.
Aber: Um welche Art von Wandel handelt es sich? In den Wahlen von 1982 verblendete die von der PSOE (spanische sozialistische Arbeiterpartei) ausgegebene Losung „Für den Wandel” viele Menschen. In der Zeitschrift Indolencia, die in Verbindung mit der Arbeiterautonomie stand, schrieben wir: „Weder Wandel noch Austausch. Der sozialistische Sieg wird allein der Modernisierung des Staates dienen und die laufende kapitalistische Restrukturierung fortführen”. Und so kam es. Sehr schnell wurde die Frage: Wann werden unsere Freunde zu Feinden? zu einer rhetorischen Figur. Es genügte zu sehen, wie das Gesicht von Felipe Gónzalez zunehmend aufquoll. Viele Genossen und Genossinnen versichern, dass es jetzt anders, und dass diese linke Betrachtung ungerecht und verkehrt sei. Vielleicht stimmt das. Wir kennen viele der ProtagonistInnen seit langer Zeit und wissen um ihre Ehrlichkeit … aber der politische Spielraum, selbst für einen radikalen Reformismus, der nichts weiter als Gesetze erlässt und anwendet, der die Grundrechte verteidigt, ist äußerst gering. Die täglichen Angriffe gegen die Neuen in den Institutionen zu sehen genügt.
Gegenüber dieser Strategie des Verschleißes scheint der ideologische Kampf in den Vordergrund zurückzukehren. Daher die permanente Präsenz der neuen Führung in den Foren und Versammlungen. Und offensichtlich rührt auch daher die Notwendigkeit, den Diskurs auf das Äußerste zu vereinfachen. Aber in Wahrheit handelt es sich um eine ideologische Schlacht im Inneren der Ideologie. Das einzige Ziel der neuen Politik, das wirklich zählt, ist, die öffentliche Meinung zu gewinnen. Um den Wandel anzustoßen, ist es bedingungslose Voraussetzung, die Tagesordnung zu bestimmen. Ein äußerst problematisches Bestreben. In erster Linie, weil es kein eigentliches politisches Zentrum gibt, sondern, lediglich einen ebenso flüchtigen und opportunistischen Wähler, wie es die Botschaft selbst ist, die man ihm letztlich vermitteln will. In zweiter Hinsicht, weil die Politik und die Ideologie nicht mehr sind, was sie einmal waren. Die Ideologie hat sich in der Wirklichkeit der Lebensformen materialisiert: Autobahnen, Freizeitcenter, Einkaufscenter, etc. Die Politik ihrerseits hat sich verkehrt in neoliberale Gouvernementalität, in die bloße unternehmerische Verwaltung der Welt.
Deswegen ist der radikale Reformismus, obgleich seiner besten Intentionen, verdammt, bei symbolischen Gesten zu bleiben. Und die FreundInnen werden schlichtweg deshalb nicht zu Feinden, weil ihr Zugang zur Regierung eine andere Funktion hat, als sie die PSOE erfüllen musste.
Die sozialistische Partei musste die Drecksarbeit machen, die die Rechte unter Franco niemals ohne erheblichen Widerstand hätte umsetzen können. Die Krise verwalten, um die noch vorhandenen Gegenkräfte zu vernichten, die Gesellschaft entpolitisieren und vor allem, den neuen Parteienstaat legitimieren. Schließlich hatten sie den Weg zur neoliberalen Enthemmung zu glätten. Wenn die Unseren heute Zugang zu den Institutionen haben, ist es hingegen, um eine andere Funktion zu erfüllen. Was man sich von ihnen erhofft, ist das unmittelbare Scheitern. Scheitern als Konsequenz der eigenen Fehler und der wütenden Angriffe, denen sie ausgesetzt sind. Ihr Schicksal ist weniger der Verrat, als die (wenn auch widerwillige) Mitarbeit an der eigenen Ruine. Heutzutage sind die Staatsstreiche durch die Strategie des permanenten Verschleißes ersetzt worden. Eine Strategie der Destabilisierung, die Machtlosigkeit, Desorientierung und Verwirrung hervorrufen muss. Der Erfolg der Macht besteht einfach darin, zu zeigen, dass es keine Alternative im Fischbecken gibt und, dass unsere FreundInnen wie alle anderen sind – zukünftige Mitglieder der Kaste. 'Das ist alles, was es gibt' ist die Losung, die triumphieren muss. In der globalen Mobilisierung, im Theater des Lebens, in dem wir tätig sind, erledigt jeder Einzelne die Rolle, die ihm zugeordnet wurde. Hoffnungen machen und sie wieder zerstören, ist die Aufgabe, die die Unseren zu erfüllen haben, und für welche sie gerufen wurden. Am Ende wird der Alltag zur Normalität zurückkehren. Die Funktionäre des Kapitals, dieselben wie immer, werden herbei eilen, bereit, das Durcheinander aufzuräumen. Es gibt keine Alternative innerhalb des Beckens. Das stimmt. Aber wir können versuchen auszusteigen, wir können lernen in vollen Zügen zu atmen, bis sich unsere Lungen daran gewöhnen. Es ist nicht die Alternative, aus dem Becken auszusteigen. Damit jedoch eröffnet sich eine Alternative. Es ist eine Notwendigkeit. Die Notwendigkeit, die in das Nein eingeschrieben ist und mit welcher alles neu beginnt.
Die neue Politik wird niemals mit dem Fischbecken brechen, wenn sie sich in Partizipationsaufrufe flüchtet, in Beratungsgespräche im Internet oder das Bild einer respektablen und vernünftigen Person verfolgt, die sich im Spiegel der öffentlichen Meinung betrachtet. Ganz im Gegenteil, wenn die neue Politik die Regierung wirklich an ihre Grenzen führt – ohne zu täuschen, ohne Doppelzüngigkeit, mit dem Mut des Wissens, dass es kein Zurück gibt – wird sie beginnen, sich eine Position auf dem Kriegsfeld aufzubauen. Und dann, wenn die Stunde der Wahrheit gekommen ist, werden wir, – die wir nicht gewählt haben, die wir nur mit zugehaltener Nase wählen konnten, weil es in den Listen einige nicht gesellschaftsfähige Kandidaten der alten Linken gab – dann werden wir da sein. Ich habe mit Brecht begonnen, und möchte ebenso mit einem seiner Sätze, der uns sehr nützlich sein kann in dieser Zeit, schließen: „Es braucht Mut, um zu sagen, dass die Guten nicht besiegt wurden, weil sie gut, sondern weil sie schwach waren.”
1 Finanzskandal um den Podemos-Mitbegründer Juan Carlos Monedero, dem unter anderem seine Vergangenheit als Berater der venezolanischen Regierung des verstorbenen Hugo Chávez zulasten gelegt wurde. Fast schon im Stundentakt warteten Spaniens Online-Portale mit neuen Details zu Monederos Einkünften aus Büchern, Seminaren und Beratertätigkeiten auf. (Anm. Ü.)
2 Guillermo Zapata blieb als Kulturstadtrat nur zwei Tage im Amt, weil rassistische Tweets von 2011 einen Skandal auslösten. (Anm. Ü.)
Der Artikel ist Anfang Juni bei Diagonal erschienen.