Partizipatorische Ökonomie

Utopie: Die Möglichkeit eines Neustarts?

parecon

Illustration: Azul Azul

Übersetzung: Yôko Woldering

Wenn es in der kritischen, alternativen Literatur einen Ort für einen umfassenden und anonymen nächtlichen Ungehorsam gibt, so ist die partizipatorische Ökonomie die selten sichtbare, helle Sonnenseite der radikalen Transformation der Gesellschaften und des menschlichen Lebens.

Während sich soziales Unbehagen heute an allen Ecken und Enden ausbreitet, findet man (nahezu) nirgendwo globale Lösungen. Auch wenn das System unseren Katastrophenwahn, der eine Übertreibung unseres Unvermögens ist, als Trumpf ausspielt: Wie oft hören wir bei der Arbeit, im Café, auf den Straßen und sogar auf den besetzten Plätzen die von einem erstaunten Gesichtsausdruck begleitete Frage „Aber wie soll diese ganze globale Sache denn anders funktionieren?”

Eine Frage, die vom Wind der Unsicherheiten in viele weitere Fragen zerstoben wird:

Wo sollen wir anfangen, uns von Bevormundung und Unterdrückung frei zu machen? Wie damit aufhören, eine technokratische Klasse zu legitimieren, die über die Normalsterblichen regiert? Wie das spekulative Finanzsystem abschaffen? Wie können wir einer konstruktiven, sozial nützlichen Arbeit nachgehen, die uns Eigenmächtigkeit und Verantwortung gibt? Wie die unternehmerische Arbeitsteilung vermeiden, bei der eine Minderheit kreativen und herausfordernden Tätigkeiten nachgeht, während die Mehrheit eine öde und verdummende Arbeit ableistet? Können wir die Arbeitszeiten entscheidend verkürzen? Was und wie sollen wir produzieren, um die negativen Umwelteinflüsse zu minimieren? Wie können wir uns vom Geld als Instanz der Anerkennung und sozialen Gerechtigkeit lösen?

Am Ende sind das alles Fragen, die auf eine einzige hinauslaufen: Was gilt es zu tun, wenn das soziale menschliche Leben jeden Tag weiter ausstirbt?

Die partizipatorische Ökonomie hat den Anspruch, eine Antwort zu geben, die dem beängstigenden und paralysierenden Ausmaß dieser quälenden Frage etwas entgegensetzt.

Die von Michael Albert und Robin Hahnel entwickelte Idee der Participatory Economics, kurz Parecon, setzt da an, wo andere Kapitalismuskritik häufig stehen bleibt. Parecon geht davon aus, dass es mehr braucht, als das reine Sezieren der Ursachen eines katastrophalen ökonomischen Modells, das die Welt und das menschliche Leben in Feuer und Asche versenkt. Die partizipatorische Theorie entwirft eine Vision dessen, was danach kommen soll — in einem sozialen Leben frei von Merkantilismus und autoritären Institutionen.

In diesem Sinne schlägt sie eine Reihe von Organisationsprinzipien und –formen vor, die dabei helfen sollen, eine alternative Gesellschaft praktisch einzuführen — ein radikal anderes Modell als den Kapitalismus und die fehlgeschlagenen Versuche des Sozialismus. Ein Modell, das die Ausbeutung, die sozialen Ungleichheiten, die (vermeintlich) repräsentative Demokratie und die unheilvolle und ineffiziente Nutzung natürlicher Ressourcen beseitigen soll.

Hierzu werden zwei Grundpfeiler der Organisation der modernen sozialen Unterdrückung verworfen: Privateigentum an Produktionsmitteln wird als wirtschaftlicher Faktor ausgeschlossen und der Staat wird überflüssig gemacht. Stattdessen wird die Gesellschaft mit Institutionen ausgestattet, die nach partizipatorischen Maßstäben vom Lokalen zum Globalen arbeiten und sich an Werten wie Zusammenarbeit, Selbstverwaltung, Gleichheit, Solidarität, Diversität und Nachhaltigkeit orientieren.

Um dies in die Praxis umzusetzen, schlägt die partizipatorische Ökonomie die Einrichtung folgender Institutionen vor:

Räte von Produzenten und Konsumenten. Diese selbstverwalteten Organe dienen der Weitergabe von Informationen, der Kanalisierung von Entscheidungsmacht und der Verzahnung der Entscheidungsprozesse von Konsumenten und Arbeitern auf verschiedenen Ebenen. Alle Konsumenten und alle Produzenten — von Mitgliedern kleiner Arbeitsgruppen in der Produktion über Abteilungsteams in Fabriken bis hin zu komplette Industriezweige umfassenden Produktionseinheiten; ob in Verbraucher–Räten aus Einzelpersonen oder Familien, in Räten der Stadtviertel, Städte und Gemeinden sowie solchen, die die ganze Gesellschaft umfassen — müssen den gleichen Informationszugang haben, was die sozialen und globalen Konsequenzen der vorgeschlagenen Maßnahmen für sie selbst sowie für die Gesamtökonomie betrifft. Letztlich sollen sie Entscheidungen proportional in dem Maß beeinflussen können, wie sich diese auf ihr Leben auswirken. Zusammengefasst sind die Räte das Mittel zur Selbstverwaltung, mit dem die Menschen ihre wirtschaftlichen Vorlieben (inklusive der gewünschten Arbeitszeiten und dem, was sie herstellen wollen) ausdrücken und die meisten ihrer täglichen wirtschaftlichen Tätigkeiten bestimmen und angehen.

Vielseitige und ausgeglichene Aufgaben. Jeder Arbeiter und jede Arbeiterin führt eine Kombination von Aufgaben aus, die sowohl eher unangenehme Routinearbeiten als auch angenehme und verantwortungsvolle Aktivitäten umfasst. Das Gegenmittel der Parecon zur unternehmerischen Arbeitsteilung, die mit der Aufteilung in Klassen einhergeht, ist eine Arbeitsteilung, die im Einklang mit der Arbeitserfahrung, den Gestaltungsmöglichkeiten, dem persönlichen Enthusiasmus und der beruflichen Weiterentwicklung der Arbeitenden steht. Die ausgewogenen Arbeitseinheiten sind ein grundlegender Beitrag zum Abbau vom Klassendenken, zur Selbstverwaltung am Arbeitsplatz und in der Wirtschaft allgemein. Auch die linke Kultur ist nicht frei von Klassendenken. Erinnern wir uns beispielsweise an die letzte große Welle der Übernahme von Betrieben durch Arbeiter, die 2001 in Argentinien begann. Mehr als hundert Fabriken wurden sichtbar enthusiastisch kollektiviert. Diese Motivation löste sich jedoch nach und nach auf, weil die unternehmerische Arbeitsteilung in den besetzten Betrieben beibehalten wurde. Der Geschäftsführer blieb also weiterhin Geschäftsführer und leitete, plante und bestimmte den Betrieb wie eh und je, während die Fließbandarbeiter weiterhin gehorchten, verpackten und vor Langeweile starben.

Bezahlung nach Mühe und Einsatz. Die Bezahlung in der Parecon basiert auf der investierten Zeit, der Beschwerlichkeit und der Gefahr der ausgeführten Arbeit. Dies setzt voraus, dass keine Forderungen gestellt werden können, die auf dem Besitz der Produktionsmittel oder größerer Verhandlungsmacht beruhen, wie es in den marktorientierten Ökonomien der Fall ist. Es entsteht auch kein Gewinnanspruch aufgrund eines größeren, geleisteten Beitrags oder durch vererbte Eigenschaften wie Begabung, spezielle Talente und Körpergröße oder durch Geschicklichkeit, Spezialisierung, bessere Werkzeuge oder durch die Herstellung von Dingen, die höher bewertet werden. Stattdessen sollte jeder Arbeiter in einem Verhältnis entlohnt werden, das der relativen Anstrengung und dem Einsatz entspricht. Diese Verfassung der Parecon nimmt implizit eine zutiefst libertäre Prämisse auf, da Anstrengung und Einsatz die einzigen Faktoren der produktiven Aktivität sind, die jeder von uns bewusst und autonom kontrollieren kann.

Partizipatorische Planung. Hierbei handelt es sich um ein alternatives Modell zur marktorientierten Planung oder der zentralistischen Planung des staatlichen Kapitalismus in sozialistischen Regimen. Die zugrunde liegende Idee besteht darin, dass die Produktionsräte bei Entscheidungen über ihre Produktionsaktivitäten die Verbrauchergemeinschaften berücksichtigen und auf Basis einer gründlichen Bewertung des Nutzens und der sozialen Kosten, die die Umweltauswirkungen per se einschließen, entscheiden.

Jeder teilnehmende Einzelne und jeder Arbeiter– oder Konsumentenrat (auf unterschiedlichen Ebenen, sei es die Konsumentengemeinschaft des Bezirks oder der Region, sei es der Arbeiterrat einer Fabrik oder ein Zusammenschluss aus Industrieräten im Ganzen) verhandelt — unterstützt von bereitgestellten Plattformen und durch Rückgriff auf elektronische Geräte zum Datenaustausch — in aufeinanderfolgenden Austauschrunden mit allen Teilnehmenden und passt seine Vorschläge an die Antworten an, so dass der Prozess in einem abschließenden Plan endet. Es existiert weder ein Zentrum noch eine Spitze. Es gibt keine Konkurrenz. Und die festgelegten Pläne können im Laufe der Zeit angepasst werden, entweder aufgrund einer Veränderung des Bedarfs und der Vorlieben der Konsumenten oder aufgrund unvorhergesehener, plötzlicher Veränderungen in der Produktionskapazität.

Durch diesen grundlegenden Mechanismus umfasst die Parecon automatisch auch die ökologische Frage. Indem sie die Souveränität über die Produktionsaktivität an die tatsächlich Beteiligten und Betroffenen zurückgibt und so direkt und demokratisch Verbraucher–Erzeuger–Gemeinschaften schafft, wird die Frage der Grenzen sozialer Nützlichkeit von Produktion neu aufgeworfen.

Die Kritik, dass dieser Mechanismus zu kompliziert und übertrieben bürokratisch sei, weisen die Autoren von Parecon von sich. Sie stimmen jedoch der Theorie zu, dass es einen Unterschied macht, ob Entscheidungen gründlich informiert und demokratisch statt autokratisch getroffen werden. Somit setzt die partizipatorische Entscheidungsfindung zwar notwendigerweise mehr Interaktion zwischen allen Beteiligten voraus (Zeit, Bereitschaft und Teilnahme), vermeidet aber sicher die sozialen und menschlichen Schäden, die durch die aktuell den öffentlichen Raum bestimmende anti–demokratische Logik verursacht werden.

Auf praktischer Ebene entgegnen sie, dass es nicht mehr Zeit kosten würde, die entscheidenden Funktionen der partizipatorischen Ökonomie zu erfüllen, als aktuell für das Ausfüllen von jährlichen Steuererklärungen verschwendet werde ... Außerdem ziele die partizipatorische Ökonomie nicht darauf ab, auszurechnen, was uns im Laufe des Jahres im Namen von Privateigentum und durch einen Produktionsprozess mit erhöhten sozialen und Umweltkosten gestohlen wurde, sondern darauf, in Selbstverwaltung sozial sinnvolle und effiziente Ergebnisse zu erreichen.

Der 2003 veröffentlichte Text Parecon — Life After Capitalism von Michael Albert vertieft die partizipatorische Idee. Die Zeichnung unzähliger hypothetischer Skizzen für ein praktisches Leben der partizipatorischen Ökonomie sind der große Verdienst des amerikanischen Ökonomen: Indem er einerseits Substanz und Durchführbarkeit der vertretenen Ideen nachweist (was den abstrakten, leeren Reden jedweder Berufspolitiker der Rechten wie der Linken noch bevorsteht ...) und andererseits konsistent und glaubwürdig beschreibt, wie die verschiedenen Komponenten des partizipatorisch–ökonomischen Lebens sich miteinander verbinden. Es ist, als wären die grundlegenden Strukturen der Parecon, die zusammen und nur in Interaktion funktionieren, wie ein Palindrom. Was der Autor präzise, logisch und in einem einfachen Stil auf etwas mehr als 300 Seiten geschaffen hat, ist mehr als die Summe seiner Teile — und möge es dazu beitragen, dass viele mit dem gleichen erstaunten Gesichtsausdruck sagen: „Ah, endlich kann eine alternative und globale Idee ins Rollen kommen!”Da dies mit einem kurzen Artikel, wie dem vorliegenden nicht möglich ist, ist die Lektüre der partizipatorischen Ökonomie unverzichtbar!

Im letzten Kapitel seines Buches versetzt sich der Autor in die Kritiker der Parecon. Dabei widmet er sich vor allem den Argumenten der streng marxistischen Ideologie und dem reinen Anarchismus. Er schlachtet aber auch die heilige Kuh des Neoliberalismus, dekonstruiert dessen Produktivitätsmythos und zeigt, dass die partizipatorische Alternative effizienter ist als das angeblich hypereffiziente System des Marktes. Dieses argumentative Gefecht ist angesichts dessen, was es in der alltäglichen Realität aufzubauen (und zu dekonstruieren) gilt, nur deshalb nicht vergebens, weil es sektiererische Neurosen bloßstellt.

Nachdem sich die Bedenken der Kritiker ausräumen lassen, kommen wir zu dem Schluss, dass die Schwierigkeit diesem Vorschlag zu folgen, ohne ihn zu einer neuen Bibel oder Fibel zu erklären, nicht darin besteht, die vorgeschlagenen Maßnahmen und die entworfenen Mittel zu deren Erreichung in einen Zusammenhang zu bringen. Diese vorzustellen oder sogar zu organisieren bedeutete in einer Blase, ein Paradies für den Bau von Luftschlössern. Außerhalb einer solchen Blase kümmert sich das planetare Entlaubungsmittel namens Kapitalismus nicht immer darum, Luftschlösser einzuebnen solange die weitaus effizientere Mobilisierung von Abermillionen Personen verhindert, dass diese an ökonomische und soziale Alternativen glauben. Genauer gesagt wird die Unfähigkeit, politisch zu handeln, organisiert. Ohne Zweifel ist die Lektüre der Parecon ein richtiger Schritt, um den Glauben an There Is No Alternative zu zerstören. Es ist ein Argument weniger für den Irrsinn der Ohnmacht. Danach kommt der Moment des nächsten Schrittes. In einer Welt, die uns von der Wiege an in die Fallgrube der Zerstörung führt, ist das konstruktive Schaffen die einzige Möglichkeit, um nicht zusammen mit ihr kaputtzugehen. In einem Sprichwort heißt es, dass man, um aus einer Grube heraus zu kommen, aufhören muss, zu graben. Es ist aber ebenso notwendig, ans Werk zu gehen, um an einem Ort, der allen gehört, andere Räume zu schaffen.

Aus dem Portugiesischen von Yôko Woldering