Die Maschinenstürmer

Übersetzung: Mareike Betz

The Bloody Code

Der Galgen war schon sehr früh eine schmachvolle Strafe. Wenn wir über seine strukturelle Ähnlichkeit mit dem Pranger nachdenken, verstehen wir, warum er sich auf der höchsten Treppenstufe befindet — reserviert für die Verunglimpfung einer Person. Hier hatten allein die unteren sozialen Schichten, Delinquenten oder Widerspenstige Zugang: Wem die Knie nicht nachgaben, dem gab irgendwann das Genick nach. Einige berühmte Hingerichtete der Moderne waren Märtyrer: An jedem ersten Mai erinnern wir uns dunkel an Parsons, Spies und ihre Genossen auf dem Schaffott. Aber wenige erinnern sich an den Namen James Towle: Er war 1816 der letzte „Maschinenstürmer”, dem das Genick gebrochen wurde. Er fiel in den Galgenschacht, eine Hymne auf den Luddismus grölend, bis seine Stimmbänder in der Schlinge verstummten. Ein Trauerzug von 3.000 Menschen stimmte den Schluss der Hymne anstelle seiner an, a capella. Schon drei Jahre zuvor wurden auf vierzehn aufgereihten Schafotten andere hingerichtet. Auch sie waren angeklagt, den „Luddismus” zu praktizieren, wie der Spitzname der neu ernannten Straftat lautete. Zu dieser Zeit gab es dutzende Verbrechen, aufgrund derer ihre Täter durch das Auge des Seils sehr schnell ins Himmelreich eintraten. Für Mord, Ehebruch, Raub, Blasphemie, für Dissidententum — zahlreich waren die Straftaten, die den Lebensfaden kappen konnten. 1830 wurde ein Kind von nur neun Jahren erhängt, weil es ein paar bunte Kreidestücke gestohlen hatte. So ging es fort, bis ein humanitäres Dekret Straftaten 1870 in nur vier Kategorien einteilte. Diese harten Gesetze wurden unter dem Namen The Bloody Code bekannt. Der Luddismus begründete sich jedoch in einem ungewöhnlichen Kapitalverbrechen: Ab 1812 konnte einen in England auch das Beschädigen von Maschinen die Haut kosten. Tatsächlich erinnern wenige die Ludditen, die „Ludds”, wie sie sich selbst nannten. Hin und wieder werden holzschnittartig Bilder dieses Aufstandes, der durch die Zerstörung von Maschinen Berühmtheit erlangte, von neoliberalen Technokraten oder von fortschrittsgläubigen Historikern aufgegriffen und von diesen als Musterbeispiel der politischen Absurdität ausgestellt: „reaktionäre Forderungen”, „künstlerische Etappe des Gewissens der Arbeitsrechtler”, „Textilarbeiterrevolte, getrübt durch bäuerlichen Anstrich”. Kurzum — nichts, was der Wahrheit nahe käme. Das Urteil über die Bewegung der Ludditen wurde von so manchem in Einzelteile zerlegt, eine Ablehnung die erstens eigennützig und zweitens Frucht von Ignoranz und Vorurteilen ist. Sowohl die „Rechte” als auch die „Linke” zeichnen ein Bild der Ludditen als eine stürmische, wilde Horde jähzorniger Pseudobauern, die die eisernen Blumen — die Lebensgrundlage für die Fortschrittsbienchen — zerschlagen und zertrampeln. Alles in allem: Das Straßenschild, das den Grenzweg der letzten mittelalterlichen Rebellion anzeigt. Dort ein steinzeitliches Relikt, hier ein Bestiarium.

Ned Ludd — das Phantom

Alles begann am 12. April 1811. In dieser Nacht stürmten 350 Männer, Frauen und Kinder eine Spinnerei in Nottinghamshire und zerstörten die großen Webstühle, indem sie mit Keulen darauf einschlugen und die Einrichtung in Brand setzten. Was dort geschah, würde bald populäre Folklore werden. Die Fabrik gehörte William Cartwright, einem Fabrikanten von Garnen schlechter Qualität, der jedoch gut mit neuen Maschinen ausgerüstet war. In jenen Jahren war die Fabrik selbst eine neue Erscheinung: Üblicherweise wurde die Arbeit in kleinen Werkstätten ausgeführt. In dieser Nacht wurden in den umliegenden Dörfern noch siebzig weitere Webstühle zerstört. Später verlagerten sich die Anschläge und die Brände auf die benachbarten Grafschaften Derby, Lancashire und York, das Herz Englands und zu Beginn des 19. Jahrhunderts Schwerpunkt der industriellen Revolution. Das vom Dorf Arnold ausgehende Chaos breitete sich zwei Jahre lang unkontrolliert im Zentrum des Landes aus — verfolgt von einer Armee von zehntausend Soldaten unter dem Kommando von General Thomas Maitland. Zehntausend Soldaten? Wellington befahl über deutlich weniger, als er in Portugal seinen Feldzug gegen Napoleon begann. Mehr Soldaten als gegen Frankreich? Das ergibt Sinn: Der Krieg gegen Frankreich fand in einer Atmosphäre von Nähe und Einschüchterung statt; doch das Gespenst, das den englischen Hof umtrieb, war nicht das Napoleonische Frankreich — es war der Parlamentarismus. Nur ein Vierteljahrhundert war seit dem ersten Jahr der Revolution vergangen. Zehntausend. Diese Zahl ist ein Indiz dafür, wie schwer es war, mit den Ludditen aufzuräumen. Vielleicht, weil die Mitglieder der Bewegung sich mit den Gemeinden vermischten. In einem doppelten Sinne: Sie zählten auf die Unterstützung der Bevölkerung und sie waren die Bevölkerung. Maitland und seine Soldaten suchten verzweifelt nach ihrem Anführer, Ned Ludd. Aber sie fanden ihn nicht. Niemals hätten sie ihn finden können, denn Ned Ludd hatte es nie gegeben: Es war ein Name, der eigens von den Dorfbewohnern ersonnen worden war, um Maitland in die Irre zu führen. Andere Anführer, die Spottbriefe, Drohungen oder Petitionen unterzeichneten, nannten sich „Mr. Fistol”, „Lady Ludd”, „Peter Plush” (Plüsch), „General Justice”. „No King”, „King Ludd” und „Joe Firebrand”. Ein Absender stellte klar, dass der Poststempel in der Umgebung von „Sherwood Forest” gestempelt worden sei. Ein beginnender Mythos überlagerte einen anderen, älteren. Maitlands Männer sahen sich gezwungen, auf Spione zu setzen; auf Agenten zur Unterwanderung und Provokation, die bis dahin kaum zum Standardrepertoire der im Ausland angewandten Kriegslogistik gehörten. Sozusagen eine frühe Umgestaltung der Polizeikräfte zu dem, was wir heute „Geheimdienst” nennen.

Wenn die stattfindenden Ereignisse, die Land und Parlament in Atem hielten, vom Ofen der Zeit verbrannt wurden, dann eben deswegen, weil das Ziel der Ludditen kein politisches, sondern ein soziales und moralisches war: Sie wollten nicht an die Macht, sondern die Dynamik der beschleunigten Industrialisierung umleiten. Ein unmögliches Unterfangen. Es sind kaum Zeugnisse davon übrig geblieben: Ein paar Lieder, Prozessakten, Berichte von Militär und Spionen, Zeitungsartikel, 100.000 Pfund Verlust, eine ihnen gewidmete Parlamentssitzung, wenig mehr. Und die Fakten: Zwei Jahre gewaltsamer sozialer Kampf, hunderttausend zerstörte Maschinen, eine Armee zur „Befriedung” der sich auflehnenden Regionen, fünf oder sechs abgebrannte Fabriken, fünfzehn tote Ludditen, dreizehn nach Australien Verbannte und weitere vierzehn, die vor den Mauern von York Castle ertränkt wurden sowie einige letzte Zuckungen. Weshalb wissen wir so wenig über die Absichten der Ludditen und ihre Organisation? Das Trugbild des Ned Ludd erklärt es. Es war ein Aufstand ohne Anführer, ohne zentralisierte Organisation, ohne Buchhaltung und mit einem wunderlichen Anliegen: Auf Augenhöhe mit den neuen Industriellen zu verhandeln. Aber kein „spontaner” Aufstand, kein „wilder” Streik, kein Gewalt–„ausbruch” der Bevölkerung kommt aus dem Nichts. Es braucht Jahre des Ausbrütens; Generationen, die sich das Erbe der Misshandlung weitergeben; gesamte gequälte Bevölkerungen, in denen das Wissen des Widerstandes gegoren ist: Mitunter münden ganze Jahrhunderte in einen einzigen Tag. Den Abzug zieht im Allgemeinen der Gegner. Um 1810 waren es der Anstieg der Preise, die vom Krieg verursachten Marktverluste und ein Komplott der neuen Industriellen und der Londoner Textilhändler, die ihre Ware nicht mehr bei den kleinen dörflichen Textilwerkstätten kauften, die den Funken entzündeten. Zudem wurden politische Versammlungen verboten und die Pressefreiheit mit der Entschuldigung des Krieges gegen Napoleon unterbunden. Und es war den Textilarbeitern gesetzlich verboten, auszuwandern, obwohl sie am Verhungern waren: England wollte seine Expertise nicht dem Rest der Welt preisgeben.

Die Ludditen erfanden eine Notfalllogistik. Sie umfasste ein System von Abgesandten und Boten in den vier Grafschaften sowie geheime Treueeide, Techniken der Tarnung, Wachposten, Organisatoren, Waffenraub im Feindeslager, Graffitis an den Mauern. Außerdem brillierten sie in der alten Kunst der Dichtung von Kampfliedern, die sie Hymnen nannten. In einem der wenigen tradierten Lieder lässt sich noch immer hören:

„Sie hat einen Arm / Und auch wenn sie nur einen hat / ist Magie in diesem einen Arm / Der Millionen kreuzigt / Zerstören wir König Dampf, den bestialischen Moloch”
und in einem anderen Lied heißt es: „Nacht für Nacht, wenn alles still ist / Und der Mond schon über den Hügeln / Marschieren wir los, unseren Willen durchzusetzen / Mit Axt, Lanze und Gewehr!” Die Hämmer, die die Ludditen benutzten, stammten aus der Fabrik Enoch. Deshalb sangen sie „Der große Enoch wird vorneweg gehen / haltet ihn auf / Wer es wagt, soll sich ihm in den Weg stellen / Vor, ihr mutigen Männer, mit Axt, Lanze und Gewehr!” Das Bild des Hammers wird das kurze Epos der Ludditen durchdringen. In der anarchistischen Ikonologie zu Beginn des 20. Jahrhunderts zerschmettert der gewerkschaftlich organisierte Herkules in der Regel nicht mehr nur Maschinen, sondern das ganze Fabriksystem mit einem großen Hammer. Dieser Blues der Technik soll uns nicht aus den Augen verlieren lassen, dass die Obrigkeiten nicht nur den Aufstand der Bevölkerung niederschlagen wollten. Sie versuchten außerdem, die Organisation der Arbeiter zu verhindern, in einer Zeit, in der lediglich die Industriellen verbündet waren. Die Carbonari, Verschwörer, die Schwarze Hand von Cádiz, revolutionäre Gewerkschaften: Im 19. Jahrhundert war der Galgen das Ende vieler aufrührerischer Bestrebungen.

»Fair Play«

Kaum einer erinnert sich daran, was die Worte „gerechter Preis” oder „anständiges Einkommen” zu einer anderen Zeit bedeuteten. Damals wie heute war es eine Strategie des Austausches und der Beschleunigung von Technologien sowie der forcierten Neuordnung der Ortschaften, die die Landschaft durchzogen. Rom wurde in sieben Jahrhunderten erbaut, Manchester und Liverpool in nur zwanzig Jahren. Später würden in Asien und Afrika Enklaven in nur zwei Wochen errichtet. Niemand war auf einen Wandel dieser Größenordnung gefasst. Der Tastsinn der unsichtbaren Hand des Marktes unterscheidet sich von der Übereinkunft sichtbarer Märkte und persönlichem Handel. Der unkontrollierte Einzug der neuen Maschinerie, die halb erzwungene Räumung der Dörfer und eine Ballung in den neuen Fabrikstädten, die ungezügelte Ausbreitung des Prinzips des Gewinnstrebens und die gewaltsame Entfernung von Traditionen waren die Brühe, in der die Rebellion gekocht wurde. So kam auch das Vorurteil auf: Doch Ludditen lehnten nicht alle Technologie ab, sondern nur diejenige, die in der Gemeinschaft (moralischen) Schaden anrichtete, und ihre Gewalt richtete sich nicht gegen Maschinen als solche (was offensichtlich ist, denn ihre eigene, hinreichend komplexe Maschinerie zerstörten sie nicht), sondern gegen die Symbole einer neuen, erfolgreichen Wirtschaftspolitik (gegen die Konzentration in urbanen Fabriken und Maschinerien, die von Gemeinschaften unmöglich erworben oder verwaltet werden konnten). Was sie berühmt machte, war nicht einmal ihre eigene Erfindung: Die Zerstörung von Maschinen und das Angreifen der Herrenhäuser gehörten seit wenigstens hundert Jahren zu den üblichen Strategien, Lohnerhöhungen zu erzwingen. Sehr bald wusste mensch, dass die neuen Getriebe von Arbeitern, deren Hände ungeübt und deren Taschen leer waren, gehandhabt werden konnten. Die Gewalt entlud sich gegen die Maschinen, aber das Blut, das floss, ging zuerst auf das Konto der Fabrikanten. Was an den Aktivitäten der Ludditen tatsächlich alarmierend war, war die neue Symbolträchtigkeit der Gewalt. Und so ergab sich als unvermeidbare Konsequenz der Rebellion eine größere Verbindung zwischen mächtigen Industriellen und staatlicher Verwaltung: Ein Pakt, der nicht mehr gebrochen werden würde.

Die Ludditen stellen uns noch immer Fragen: Gibt es Grenzen? Ist es möglich, sich der Einführung neuer Maschinen oder Arbeitsprozesse entgegenzustellen, wenn diese der Gemeinschaft schaden? Was sind die sozialen Konsequenzen der technischen Gewalt? Gibt es Orte, an denen die Meinungen der Gemeinschaften Gehör finden? Können die neuen Technologien der „Globalisierung” unter bestimmten moralischen und nicht nur unter statistischen und planerischen Gesichtspunkten diskutiert werden? Sind die Neuerungen und die Beschleunigungen im Arbeitsprozess Werte? Niemandem entgeht wohl die Aktualität dieser Themen. Sie sind unter uns. Scharfsinnig erkannte der Luddismus den Beginn des technischen Zeitalters und brachte das „Thema der Maschinerie” auf den Tisch — weniger als eine technische — vielmehr als eine politische und moralische Frage. Damals beschuldigten die Fabrikanten als Knappen der Grundeigentümer die Ludditen des Verbrechens des Jakobinismus, heute klagen die Technokraten die Kritiker des Fabriksystems der Nostalgie an. Aber die Ludds wussten, dass sie sich nicht nur den profitgierigen Textilfabrikanten entgegen stellten, sondern auch der technischen Gewalt der Fabrik. Die vorhergedachte Zukunft: Sie sahen die technologische Moderne voraus.

Epiloge

Der 27. Februar 1812 war ein erinnerungsträchtiger Tag für die Geschichte des Kapitalismus, aber auch für die Chronik der verlorenen Kämpfe. Die gewalttätigen Armen sind das parlamentarische Thema: Gewöhnlich stehen sie lediglich auf der Tagesordnung, wenn bereits umgesetzte Errungenschaften gebilligt oder begrenzt oder wenn die Maßlosigkeiten harter Haushaltspakete vollendet werden; weit routinierter aber noch, wenn exemplarische Maßnahmen debattiert werden. An diesem Tag ging Lord Byron zum ersten und letzten Mal ins Parlament. Seit Guy Fawkes es sich in den Kopf gesetzt hatte, dieses in die Luft zu jagen, hatte sich niemand mehr erdreistet, das House of Lords mit dem Ziel des öffentlichen Widerspruchs zu besuchen. Unter dem Vorsitz von Premierminister Perceval wurde die Angemessenheit der Strafe im Falle des sogenannten „Frame Breaking Bill”, also die Todesstrafe für das Zerstören einer Maschine, verhandelt. Es waren die Lords gegen die Ludds: Hundert gegen Einen. Damals arbeitete Byron intensiv an seinem Versepos Childe Harold, nahm sich aber die Zeit, um die aufständischen Regionen zu besuchen und sich selbst ein Bild von der Situation zu machen. Der Gesetzentwurf war vom House of Commons bereits angenommen. Der zukünftige Premierminister William Lamb (Wilhelm Schaf) stimmte dafür, nicht ohne dem Rest zu raten, es ihm gleichzutun, denn „die Angst vor dem Tod hat einen mächtigen Einfluss auf den menschlichen Geist”. Daraufhin versuchte sich Lord Byron an einer so bewundernswerten wie aussichtslosen Verteidigung. In einer Passage seiner Rede — dort, wo er die Soldaten als Besatzungsarmee darstellt — bringt er die Ablehnung, die sie in der Bevölkerung hervorrief, auf den Punkt:

„Märsche und Gegenaufmärsche! Von Nottingham nach Bulwell, von Bulwell nach Banford, von Banford nach Mansfield! Und als alle Kommandos am Ziel angekommen waren, mit all dem Stolz und dem Pomp eines glorreichen Krieges, kamen sie gerade noch rechtzeitig, um Zuschauer dessen zu werden, was vollbracht worden war; um Zeugen der Flucht der Verursacher zu werden; um die Fragmente der zerstörten Maschinen aufzusammeln und unter dem Spott der Alten und den Pfiffen der Kinder in ihre Lager zurückzukehren.”

Und er fügt eine inständige Bitte hinzu: „Gibt es in Eurem Gesetzbuch denn nicht genügend Blut, dass es notwendig ist, noch mehr zu vergießen, damit es in den Himmel auffahre und gegen Euch aussage?” „Und wie wird dieses Gesetz durchgesetzt? Wird in jedem Dorf ein Galgen aufgestellt und aus jedem Mann eine Vogelscheuche gemacht?”. Aber niemand unterstützt ihn. Byron entscheidet sich dazu, in einer Zeitung ein gefährliches Gedicht zu veröffentlichen, in dessen letzten Zeilen zu lesen ist:

„Für manch einen Nachbarn war es sicher ein Schock,
In einer Zeit, da Menschen Hunger leiden und Armut allgegenwärtig ist,
Ein Menschenleben weniger zählt als eine Ware
Und das Zerstören von Stahlskeletten vergolten wird mit dem Brechen von Knochen.
Es wird sich erweisen, so hoffe ich fest, bei diesem Zeichen,
(Und wer will sich dieser Hoffnung entziehen?),
Dass die Skelette jener Dummdreisten die ersten sein werden, die brechen,
Jener nämlich, welche nach einem Heilmittel angerufen, den Strick kommen lassen.”


Vielleicht sympathisierte Lord Byron mit den Ludditen oder vielleicht — letzten Endes ein Dandy — verachtete er die Habgier der Händler, aber sicherlich war ihm nicht klar, dass das neue Gesetz in Wirklichkeit die symbolische Geburt des Kapitalismus repräsentierte. Den Rest seines Lebens verbrachte er auf dem europäischen Kontinent. Kurz bevor er England verließ, veröffentlichte er einen Reim, der mit der Zeile „Down with all the kings but King Ludd„ kulminiert.

Im Januar 1813 hängte man mit George Mellor einen der wenigen führenden Köpfe, die ergriffen wurden. Wenige Monate später trifft es vierzehn weitere, die das Eigentum von Joseph Ratcliffe, einem reichen Industriellen, angegriffen hatten. Nie zuvor waren in England an einem einzigen Tage so viele Menschen dem Galgen anheim gefallen. Diese Zahl ist auch ein Zeichen. Die Regierung hatte in den Dörfern hohe Belohnungen für belastende Informationen ausgesetzt. Doch alle Dorfbewohner, die um der Belohnung willen kamen, gaben falsche Informationen an und verwendeten das Geld, um den Angeklagten zu helfen. Die Möglichkeit eines gerechten Prozesses stand nichtsdestoweniger außer Frage — selbst wenn nur fadenscheinige Beweise vorlagen. Die vierzehn Todgeweihten verbrachten ihre letzte Stunde damit, ein religiöses Lied anzustimmen (Behold the Savior of Mankind). Sie waren mehrheitlich methodistischen Glaubens. Als sich die Rebellion in alle vier Himmelsrichtungen der Textilregion ausbreitete, verkomplizierte sich ebenso das Mosaik der Beteiligten: Demokraten, die Tom Paine folgten; radikale Religiöse, von denen einige dem Geist der Sekten des vergangenen Jahrhunderts nachhingen — die Levellers, die Ranter, Southscottiaw etc.; erste Organisatoren der Gewerkschaften (unter den verhafteten Ludditen waren nicht nur Textilarbeiter, sondern alle möglichen Gewerbe vertreten) und jakobinische irische Migranten. Und immer wieder wird deutlich: Der Internationalismus ist alt — in früheren Epochen war er unter dem Begriff des Spartakismus bekannt.

Täglich melden die Städte Tausende und Abertausende von Namen ab, täglich verschwinden die Silben unzähliger Nachnamen der menschlichen Vergangenheit. Ihre Geschichten werden in dunklen Cenotes¹ geopfert. Ned Ludd, Lord Byron, Cartwright, Perceval, Mellor, Maitland, Ogden, Hoyle, kein Name darf vergessen werden. General Maitland wurde für seine Dienste fürstlich entlohnt: Er bekam den Adelstitel eines Baronets und wurde zum Gouverneur von Malta ernannt. Danach wurde er Oberkommandant des Mittelmeers und darauf Hochkommissar der Ionischen Inseln. Vor seinem Abgang hatte er noch die Zeit, eine Revolution in Kefalonia niederzuschlagen. Der Premierminister Perceval wurde von einem „Geistesgestörten” ermordet, noch bevor sie den letzten Ludditen erhängt hatten. William Cartwright führte sein lukratives Industriellendasein fort, sein Geschäft florierte, und das Fabrikmodell breitete sich aus. Einer seiner Söhne setzte seinem Leben in nichts Geringerem als dem Kristallpalast der Weltausstellung 1851 ein Ende. Doch das Donnern in der Maschinenhalle dämpfte den Schuss. Als einige Jahre nach diesen Ereignissen ein lokaler Spion starb — ein Judas — der in der Gegend geblieben war, wurde sein Grab geschändet und sein exhumierter Leichnam an Medizinstudenten verkauft. Einige Ludditen wurden zwanzig Jahre später gesichtet, als sich in London die ersten Organisationen der Arbeiterklasse gründeten. Andere, die verbannt worden waren, hinterließen in Australien und Polynesien ihre Spuren. Ähnliche Routen lassen sich nach der Pariser Kommune und der Spanischen Revolution ausmachen. Die Mehrheit der Dorfbewohner, die diese vier Grafschaften bevölkerten, scheinen einen Anonymitätspakt geschlossen zu haben. Eine Erneuerung des Schweigegelübdes, das zuvor „Ned Ludd” genannt worden war; in den Tälern sprach niemand jemals wieder über die eigene Teilnahme an der Rebellion. Die Lektion war eine harte gewesen und das Gesetz der Technologie war es erst recht. Vielleicht manchmal, in einer Taverne: Ein Wort, ein Lied, Spuren, die niemand bemerkte. Eine Abtreibung der Geschichte. Niemand legte Wert auf diese Art von Überbleibseln.

Stimmen

Warum sich mit der Geschichte von Ned Ludd und den „Maschinenstürmern” aufhalten? Ihre wuterfüllten Taten überleben gerade so in den kürzesten Fußnoten des großen autobiografischen Buches der Menschheit. Die Konsistenz ihrer Geschichte ist anonym, sehr fragil und fast absurd, was mitunter Neugier aufkommen, doch meist jenes Desinteresse überwiegen lässt, das sich für alles einstellt, was nicht die Adelsdynastien betraf. Dies ist kein Jahrhundert, um zu verweilen: Der Bourgeois des 19. Jahrhunderts konnte sich den Luxus gönnen, mit einem Feuilleton zu entspannen, aber das Publikum des jetzigen hat kaum ein paar Stunden, um durch das Fernsehprogramm zu zappen. Wir leben im „Zeitalter des Herzrasens”, wie es Martínez Estrada sarkastisch beschrieben hat. Den Lauf der Zeit in einen Gegenstrom zu verwandeln und sich am Ende im Auge des Sturmes auszuruhen, ist eine Aufgabe, die nur ein Orpheus wagen kann. Ihm wurde das Tor zur Welt der Toten durch Melodien, die die vollendeten Schlösser entriegelten, geöffnet. Wir können uns nur von den geisterhaften Mündungsfeuern leiten lassen, die in den alten Büchern erschallen: Mit dem Tode ringende Atemzüge zwischen linguistischen Lumpen. Jede andere Spur hat sich bereits in den Elementen aufgelöst. Aber wenn diese in der Lage wären, eine Sprache zu artikulieren, so könnten sie uns die Erinnerung zurückgeben, die von allem, was in ihrem „Körper” zirkuliert, bewahrt wird (zum Beispiel all die Ruder, die zu allen Zeiten das Wasser zerteilten oder alle Hufeisen, die die Erde berührten und so fort). Zu ihrer Zeit würde die Luft dann die Gesamtheit der Stimmen wiedergeben, die aus den Mündern all der Menschen, die seit Beginn der Zeit existiert haben, erschallen. In Wirklichkeit sind es Millionen Worte, die jede Minute gesagt werden. Aber keines wäre verloren, nicht einmal die Worte der Stummen. Sie alle blieben verzeichnet in der atmosphärischen Transparenz, deren Verhältnis mit dem menschlichen Vermögen zu hören noch zu erforschen sein wird: Das wäre, als würden die Hände von Kindern flüchtige Graffiti kritzeln oder nervöse Herzen in Gläsern vom eigenen Atem getrübt. Wenn sich dieses mündliche Archiv in unsere Sprache übersetzen ließe, dann würden alle gesagten Dinge in einem einzigen Augenblick wiederkehren und eine große Rune oder eine Gesamterinnerung der Geschichte bilden. Im Wind treiben die Worte wie Samen von Zeitalter zu Zeitalter und jedes Ohr kann ernten, was in anderen Zeitaltern Sturm war. Der Wind ist ein so guter Träger der Erinnerungen, weil das Gesagte ebenso notwendig wie unfreiwillig war. Oder sei es, weil wir uns manchmal den Toten näher fühlen als den Lebenden. Von all den gesagten Dingen kann ich es weder, noch will ich es lassen, jenen von Ben, einem alten Ludditen, zu folgen. Fünfzig Jahre nach den Vorfällen sagte er zu einigen Historikern aus der Grafschaft Derby: „Es verbittert mich so, dass die Nachbarn von heute, die Dinge missdeuten, die wir — die Ludditen — gemacht haben.” Aber wie könnte jemand, inmitten all der Euphorie des Fortschritts den Wahrheiten der Ludditen Gehör schenken? Es gab und es gibt noch immer kein Gehör für die Prophezeiungen der Geschlagenen. Die Klage Bens war das letzte Wort der Ludditenbewegung, die ihrerseits 1813 mit den Klagen der Erhängten endete. Und vielleicht habe ich all dies nur geschrieben, um Ben besser zu hören. Ich klammere mich an sein Fädchen von Stimme, wie es ein jeder täte, der dieses Labyrinth durchstreift.

Aus dem Spanischen Mareike Betz

¹ Ein Cenote (Spanisch; Mayathan ts’o’noot, in Ortsnamen meist dzonot) ist ein dolinenartiges Kalksteinloch, das durch den Einsturz einer Höhlendecke entstanden und mit Süßwasser gefüllt ist. Die Maya betrachteten sie als Eingänge zur Unterwelt (xibalba) und nutzten sie häufig als religiöse Opferstätten. (Anm. der Ü.)