Eine Untersuchung der Voraussetzungen des kollektiven Handelns
Wunsch (und) Freiheit
Übersetzung: Carolina Brügmann-
Okbay
Als ich diesen Text zu schreiben begann, hatte ich mir vor allem das Ziel gesetzt, das Konzept der Freiheit zu entmystifizieren. Der irreführende Gebrauch dieses Begriffs ist so geläufig, seine Anwendung für die Rechtfertigung der schmerzvollsten Handlungen so ausgeprägt, die Bezeichnung “Operation Freiheit” für die Eroberung anderer Völker so barbarisch und so häufig, dass er für die Lüge, die Eroberung und die Verachtung jener steht, die mit denen, die ihn aussprechen, nicht einer Meinung sind, dass ich verzweifelt nach einem Umfeld suchte, in dem das Wort zumindest etwas Respektables bedeutet. Aus diesem Grund erschien es mir besser, die Darstellung seiner Geschichte beiseite zu lassen und zu versuchen, ihn durch würdigere Begriffe zu ersetzen. Die Untersuchung führte mich auf neue Wege. Es stellte sich heraus, dass die Genealogie des Begriffs uns zeigt, wie sein Gebrauch mit einem neuen Menschenbild verknüpft ist, nach dem wir keine Geschöpfe – also keine von Gott erschaffenen Geschöpfe – mehr sind, sondern als singuläre Individuen gelten, deren Leben zumindest bis zu einem gewissen Grad von uns selbst abhängt. In diesem Sinne handelt es sich um einen Begriff, der die Schöpfung des modernen, unabhängigen und autonomen Individuums legitimiert, so sehr diese Autonomie auch klassenspezifisch ist, da sie der Bourgeoisie vorenthalten ist; so sehr sie auch geschlechterspezifisch ist, da sie die Frauen ausschließt; und so sehr sie auch rassenspezifisch ist, weil sie nicht für Individuen anderer Züge und Hautfarben gilt. Schnell sah ich mich dem liberalen Konzept der Freiheit gegenüber, das sich als höchst einschränkend erweist, da es sich fast ohne Ausnahme auf Männer weißer Hautfarbe mit einem gewissen Status bezieht und einen großen Teil der Menschheit ausschließt. Und da dieses Konzept extrem restriktiv ist, ist es naheliegenderweise konstanter Kritik ausgesetzt und zwar durch jene Diskurse, die sich mit den Wünschen und Erwartungen der ausgeschlossenen Gruppen beschäftigen. In diesem Kontext besteht kein Zweifel an seinem “ideologischen” Wesen, einem Wesen, das in den gegenwärtigen kapitalistischen Gesellschaften nahezu jegliche andere Konnotation überschattet, die der Begriff haben könnte, und das letztlich nur die konsumierenden Individuen und ihre Fähigkeit, zwischen ähnlichen Produkten unterschiedlicher Marken auszuwählen, umfasst.
Trotz allem sollte anerkannt werden, dass der Begriff der Freiheit gemeinsam mit anderen Begriffen, wie dem der Würde oder der Solidarität, einen großen Teil der Kämpfe der letzten zweihundert Jahre begleitet hat. Handelt es sich lediglich um eine Leihgabe oder um einen ideologischen Einfluss der dominierenden Doktrinen? Gibt es nichts an diesem Konzept, was sich retten ließe, um es auf die heutigen Konflikte anzuwenden? Spielt es jenseits seines rhetorischen Gebrauchs vielleicht auf irgendeinen Wunsch individuellen und kollektiven Wohlbefindens an? Regt sich noch etwas in uns, wenn wir den Begriff auf den unzähligen Plakaten geschrieben sehen, die von Menschen auf der ganzen Welt hochgehalten werden? Dies war wie gesagt das Problem, das sich zu Beginn der Arbeit aufwarf. Ich weiß nicht, ob ich es gelöst habe, in jedem Fall habe ich versucht zu zeigen, inwieweit die liberale Eingrenzung der Problematik der Freiheit auf ihre individualistischen und negativen Bestandteile, wie beispielsweise die Unabhängigkeit, verhindert, dass wir uns ihr in ihrer ganzen Potenz annehmen. Durch eine räuberische und missbrauchende Macht erfährt sie eine grundlegende Verdrehung als Leitmotiv, da sie erforderliche Abhängigkeiten, die wir Menschen untereinander und auch bezogen auf die materiellen Verhältnisse unserer Lebensumstände haben, verschweigt und sie gleichzeitig in einen erforderlichen Gehorsam gegenüber Gesetzen umwandelt, die – wie es so schön heißt – erlassen wurden, um unsere Freiheit zu garantieren. Das nächste Problem, das sich ausgehend von diesem einschränkenden Konzept auftut, ist es, theoretische Rechtfertigungen für das kollektive Handeln zu finden, die eine Aufrechterhaltung des Gesellschaftsvertrages sicherstellen. Die großen modernen Theoretiker haben Spagate vollbracht, um ebenjene persönliche Freiheit der besitzenden Individuen in Einklang zu bringen mit der notwendigen Kooperation im Rahmen der politischen Gesellschaften, die auf dem Austausch zwischen Gleichwertigen (auf dem Markt) und dem politischen Übereinkommen basieren, das sich für den Schutz dieser neuen sozialen Kooperationsformen gegenüber der unbegrenzten Habsucht der ehemaligen aristokratischen Mächte einsetzt. Der Markt und der moderne Staat sind aus diesen Kämpfen entstanden. Diese Verhältnisse existieren jedoch nicht mehr und die Diskurse sind vollständig veraltet, wenn nicht verzerrt, wenn der Markt nicht mehr ist als die Sphäre der Zirkulation, die die unaufhörliche kapitalistische Anhäufung und die Staaten nährt, die in Demokratien von Eliten verwandelt wurden, und die die Unantastbarkeit des Konsens garantieren – ungeachtet des Willens nach Veränderung seiner Bürger.
In den Gesellschaften der ersten Welt gibt es, sollten die Bürger und Bürgerinnen dies wünschen, keine Freiheit, um die grundlegenden Einschränkungen des Lebenssystems aufzuheben – sie wurden in Form von unantastbaren Regeln errichtet und Verletzungen werden durch eine umfangreiche Apparatur von Gerechtigkeit und Strafe sanktioniert.
Auf diese Weise hört die Freiheit auf, eine Garantie für Veränderung zu sein, und dient stattdessen den Regeln und der Internalisierung der Unterordnung; sie ist ebenso wie ihre andere Seite an die Akzeptanz existierender Regeln gekoppelt und basiert auf einem Trugbild, in dem die freie Handlung eines jeden der Möglichkeit eines gemeinsamen Lebens entgegensteht. Das lässt außen vor, dass die politische Herausbildung genau dieser Möglichkeit die eindeutigste Manifestation der kreativen Fähigkeiten der menschlichen Wesen ist und dass wir nicht als verlorene Atome in einer fremden Welt herumschwirren, sondern Wesen sind, die in ein Geflecht von Beziehungen unterschiedlichster Art geboren wurden, das wir mit uns herumtragen und mit unseren Artverwandten teilen.
Oder, um es anders auszudrücken, das dominierende liberale Konzept der Freiheit sperrt uns als unabhängige und kompetitive Wesen unter unserem Panzer ein und lässt uns die zahlreichen Bindungen, die unser tagtägliches Leben ermöglichen, nur soweit erkennen, wie es gemäß der Perspektive der bestehenden Institutionen notwendig ist und blockiert so ebenso unser gemeinsames Handeln. Darüber hinaus verstärkt diese Auffassung von Freiheit die Angst der führenden Schichten und macht diese zu einer allgemeinen Furcht der gesamten Bevölkerung, die realen Bedrohungen ausgesetzt ist, die sich nicht auf die mutmaßliche Kriminalität einiger Verrückter (die es unabhängig davon immer geben kann) zurückführen lassen, sondern auf die extreme Ungerechtigkeit, die dieses System hervorruft und auf seine Abschirmung gegenüber jeglichem Veränderungsversuch.
Unter diesen Umständen und mit dem Ziel, die Frage nach anderen Horizonten zu eröffnen, habe ich mich an nicht-liberale Autoren wie Marx gewandt, an Autoren, deren Liberalismus diskutiert wird, wie Spinoza und an zeitgenössische kritische Feministinnen, zu denen ich Rossi Braidotti und Vandana Shiva zähle. Bei diesen Autoren und Autorinnen fand ich nicht nur eine Vertiefung der Problematik, sondern auch eine deutliche Aufklärung über den ideologischen Stellenwert von Freiheit. Ausgehend von diesen Autorinnen und Autoren habe ich es gewagt, den Begriff neu zu definieren und dabei den Aspekt der Unabhängigkeit der Individuen voneinander zu minimieren und die Verbindung zwischen ihnen zu stärken. Auf diese Weise hört Freiheit auf, ein Synonym für den Gegensatz zwischen den menschlichen Wesen und der gegenseitigen Unabhängigkeit zu sein und beschreibt stattdessen die Eigenschaft, die allen menschlichen Wesen gleich ist, nämlich die Notwendigkeit, eine gemeinsame Welt zu schaffen, die nicht den Vorgaben bestimmter Menschen untersteht, seien es die Mächtigsten, Reichsten, Geschicktesten oder die Zynischsten.
Ausgehend von dieser Problematik gilt es, die Vorstellung des klassischen Freiheitskonzepts und des kollektiven Handelns zu untersuchen. Diese Perspektive lässt sich mit den Themen korrigieren, die die sozialen Bewegungen im Laufe der Geschichte aufwerfen. Sie betrachten das kollektive Handeln nicht als Unterwerfung unter die durch das Recht verfügten Normen, sondern als produktive Praktiken zur Erzeugung neuer theoretischer und politischer Methoden. Marx’ Kritik am liberalen Diskurs, die Analyse von Spinoza und die feministische Debatte tragen dazu bei, das Gebiet der Fragestellung zu ändern – nachdem wir uns von der klassischen These der liberalen Freiheit distanziert haben, beginnen wir uns Fragen zur Setzung des modernen Subjekts, zur Klassenherrschaft und zu den Möglichkeiten des kollektiven Handelns als einer Zusammenkunft von Einzelnen zu stellen.
In Anlehnung an Spinoza definieren wir Freiheit zu Beginn dieses 21. Jahrhunderts neu: als die fröhliche Leidenschaft der gemeinsamen Schaffung einer gemeinsamen Welt. Wir definieren sie neu in einer Zeit, in der wir mit unseren Eigenheiten im Schlepptau praktisch aufhören ‘Individuen’ und Teil eines Ganzen zu sein, um dazu überzugehen, die Anteile der Weltbevölkerung, denen es an Eigenressourcen fehlt, die jedoch unglaublich reich an Potenzial, Wissen und vielseitiger Kreativität sind, weiter anwachsen zu lassen; selbst wenn die Innovation – die heute noch stärker als einst durch die kapitalistische Rentabilität beschränkt wird – zuvor ungekannte Vermarktungsprozesse hervorruft und gleichzeitig eine nie dagewesene Prekarisierung fördert.
In diesen neuen Kontexten von Freiheit zu sprechen, verpflichtet uns zu einer höheren Präzision bei der Wortwahl. Nicht nur in Bezug auf die Klasse: Die Freiheit des Unternehmers steht in strikt umgekehrtem Verhältnis zu der Freiheit des Arbeiters und die Freiheit des Konsumenten tut dies in Bezug auf die Freiheit des Verkäufers. Ebenso verhält es sich mit den Geschlechtern: Die Freiheit des Mannes, das Miteinanderleben nach seinem Belieben zu gestalten, steht in strikt umgekehrter Proportion zu der Freiheit der Frau, ihre Zeit zu genießen und ihre Beschäftigungen frei zu wählen. Oder hinsichtlich der kolonialisierenden und kolonialisierten Länder: Die Freiheit der Kolonisatoren, ihre Herrschaft auszudehnen, steht in umgekehrtem Verhältnis zu der Freiheit der Kolonialisierten, das Ihrige zu bewahren. Das ist kein Problem der Perspektive: Wer die Freiheit des Unternehmers dazu verteidigt, seine Gewinne maximal zu steigern, verteidigt gleichzeitig die nicht vorhandene Freiheit der Arbeiter, sich den erzeugten Reichtum in größerem Umfang anzueignen, sei es im Herkunftsland oder in den fernen Kolonien. Wer die männliche Herrschaft verteidigt, verteidigt gleichzeitig die weibliche Unterordnung. Wer die Freiheit der imperialen Eroberungen verteidigt, verteidigt gleichzeitig den Verlust der Freiheit und in vielen Fällen des Lebens der Eroberten. Es scheint, als ob die Herrschaftslogik, die die Freiheitsrhetorik überall begleitet, keinen Ausweg kennt. Und ganz sicherlich gibt es keinen Ausweg, wenn wir nicht die Bedeutungen der Worte verändern. Lasst uns also dem Begriff der Freiheit eine neue und ihrem Kontext angemessene Bedeutung geben; eine Bedeutung, die die strikte Reduzierung auf die Unabhängigkeit und die Konkurrenz der Individuen untereinander überschreitet; die stattdessen auf die kreative Fähigkeit der Menschen hinweist, eine gemeinsame Welt für alle zu schaffen. Aus diesem Grund und angesichts des liberalen Freiheitskonzepts, das seine Einschränkung auf die individualistischen und wettbewerbsbezogenen Bestandteile á la “jeder-gegen-jeden“ verteidigt, möchte ich ein älteres und vielleicht auch philosophischeres Konzept einführen. Nach diesem Konzept verweist der Begriff der Freiheit auf die Möglichkeit der menschlichen Wesen, gemeinsam zu leben und ihre Fähigkeiten gemeinsam zu nutzen, wobei diese Fähigkeiten niemals im strikten Sinne individuell sind, sondern ein Resultat des kollektiv aufgebauten Lebens ebenso wie der gemeinsamen Kultur und der vererbten Sprache.
Anstatt von unabhängigen Subjekten aus- zugehen, deren einzige Gemeinschaftsform auf den Austausch beschränkt ist, auf das “ich gebe dir, damit du mir gibst” – wie die Klassiker sagten – müssen wir lernen, von einzelnen Lebewesen auszugehen, deren Körper sich in unendlichen Serien miteinander verbinden und deren Sprache uns seit dem Erwerb unserer ersten Worte in eine lange Geschichte kulturell konnotierter Begriffe einbindet. An erster Stelle steht nicht das Individuum als letztes soziales Atom, an erster Stelle steht die Gesamtheit sozialer, kultureller und wirtschaftlicher Verbindungen, in die wir hineingeboren werden und innerhalb derer wir uns sozialisieren. Nur durch sie und dank ihnen erlangen wir die Singularisierung. Freiheit kann also nicht als die Fähigkeit verstanden werden, die jeder Mensch hat, um zu sein wer er ist, um “sich selbst zu erschaffen”, wie die liberale Ideologie predigt, sondern als die gemeinsame Fähigkeit der menschlichen Wesen, zusammen eine Welt zu erfinden, in der viele Welten Platz finden. Diese Handlung, die eine Innovation einführt, die das menschliche Verhalten bestimmt, bedeutet jedoch keinen Sprung in die Leere. Sie hebt lediglich, obgleich dies schon viel ist, das Mehr an Vorstellungskraft, an Erfindungsgabe und an neuem politischen Schaffen hervor, das in einem bestimmten Moment erforderlich wird, um die Wiederholung der Herrschaftsvorgänge zu blockieren, die sich “naturalisiert” haben und zur Gewohnheit geworden sind. Hierfür braucht es Mut und Aufgeschlossenheit. Da alle Menschen von all dem, was uns umgibt und uns zu leben ermöglicht, eher abhängig als unabhängig sind, impliziert die Benutzung des Begriffs Freiheit immer, bestimmte Beziehungen zu verdrehen und durch andere zu ersetzen – Beziehungen, die in einigen Fällen einen höheren Grad an Gleichgewicht und Gegenseitigkeit erlauben, während andere schlicht und ergreifend den Austausch einer Herrschaft durch eine andere bedeuten.
Das Problem ist also nicht die Freiheit, sondern ihre andere Seite, die Herrschaft. Der ideologische Gebrauch des Begriffs vermittelt das Trugbild, dass in den “freien Gesellschaften” keinerlei Herrschaft existiert und alle Abhängigkeiten frei und freiwillig erworben wurden. Welch schreckliche Täuschung! Es wäre so viel ergiebiger, von der anderen Seite heranzugehen und die zahlreichen Abhängigkeiten und Fähigkeiten zu analysieren und davon ausgehend die politischen Strategien, die gerechte Beziehungen der Wechselseitigkeit schaffen, zu betrachten. Freiheit sollte ein Begriff sein, um Wechselseitigkeit, Gleichberechtigung und Kooperation in einer gemeinsamen Welt zu beschreiben. Die Annahme, wir seien frei in einer Welt der Herrschaft, impliziert ganz im Gegenteil, dass wir die Unterwerfung als einzige Möglichkeit zu leben verinnerlichen, selbst wenn dies unseren Wunsch zu leben in Frage stellt und unser eigenes Überleben anficht. Um abzuschließen, möchte ich lediglich hinzufügen, dass die große politische Aufgabe im beginnenden Jahrhundert meiner Meinung nach darin besteht, politische Formen einer lebendigen Demokratie oder auch einer Bio-Demokratie zu entwerfen, die dazu dienen, die gemeinsame Macht der Weltbevölkerung zu verbinden und so den Weg zu ihrer Befreiung zu ebnen. Und zwar nicht mehr zu ihrer Befreiung von den Kolonialmächten, den Patriarchen und Imperialisten, sondern zu ihrer Befreiung von Armut, Hunger und Krieg, die sich im Namen der Freiheit überall ausbreiten.
Trotz allem sollte anerkannt werden, dass der Begriff der Freiheit gemeinsam mit anderen Begriffen, wie dem der Würde oder der Solidarität, einen großen Teil der Kämpfe der letzten zweihundert Jahre begleitet hat. Handelt es sich lediglich um eine Leihgabe oder um einen ideologischen Einfluss der dominierenden Doktrinen? Gibt es nichts an diesem Konzept, was sich retten ließe, um es auf die heutigen Konflikte anzuwenden? Spielt es jenseits seines rhetorischen Gebrauchs vielleicht auf irgendeinen Wunsch individuellen und kollektiven Wohlbefindens an? Regt sich noch etwas in uns, wenn wir den Begriff auf den unzähligen Plakaten geschrieben sehen, die von Menschen auf der ganzen Welt hochgehalten werden? Dies war wie gesagt das Problem, das sich zu Beginn der Arbeit aufwarf. Ich weiß nicht, ob ich es gelöst habe, in jedem Fall habe ich versucht zu zeigen, inwieweit die liberale Eingrenzung der Problematik der Freiheit auf ihre individualistischen und negativen Bestandteile, wie beispielsweise die Unabhängigkeit, verhindert, dass wir uns ihr in ihrer ganzen Potenz annehmen. Durch eine räuberische und missbrauchende Macht erfährt sie eine grundlegende Verdrehung als Leitmotiv, da sie erforderliche Abhängigkeiten, die wir Menschen untereinander und auch bezogen auf die materiellen Verhältnisse unserer Lebensumstände haben, verschweigt und sie gleichzeitig in einen erforderlichen Gehorsam gegenüber Gesetzen umwandelt, die – wie es so schön heißt – erlassen wurden, um unsere Freiheit zu garantieren. Das nächste Problem, das sich ausgehend von diesem einschränkenden Konzept auftut, ist es, theoretische Rechtfertigungen für das kollektive Handeln zu finden, die eine Aufrechterhaltung des Gesellschaftsvertrages sicherstellen. Die großen modernen Theoretiker haben Spagate vollbracht, um ebenjene persönliche Freiheit der besitzenden Individuen in Einklang zu bringen mit der notwendigen Kooperation im Rahmen der politischen Gesellschaften, die auf dem Austausch zwischen Gleichwertigen (auf dem Markt) und dem politischen Übereinkommen basieren, das sich für den Schutz dieser neuen sozialen Kooperationsformen gegenüber der unbegrenzten Habsucht der ehemaligen aristokratischen Mächte einsetzt. Der Markt und der moderne Staat sind aus diesen Kämpfen entstanden. Diese Verhältnisse existieren jedoch nicht mehr und die Diskurse sind vollständig veraltet, wenn nicht verzerrt, wenn der Markt nicht mehr ist als die Sphäre der Zirkulation, die die unaufhörliche kapitalistische Anhäufung und die Staaten nährt, die in Demokratien von Eliten verwandelt wurden, und die die Unantastbarkeit des Konsens garantieren – ungeachtet des Willens nach Veränderung seiner Bürger.
In den Gesellschaften der ersten Welt gibt es, sollten die Bürger und Bürgerinnen dies wünschen, keine Freiheit, um die grundlegenden Einschränkungen des Lebenssystems aufzuheben – sie wurden in Form von unantastbaren Regeln errichtet und Verletzungen werden durch eine umfangreiche Apparatur von Gerechtigkeit und Strafe sanktioniert.
Auf diese Weise hört die Freiheit auf, eine Garantie für Veränderung zu sein, und dient stattdessen den Regeln und der Internalisierung der Unterordnung; sie ist ebenso wie ihre andere Seite an die Akzeptanz existierender Regeln gekoppelt und basiert auf einem Trugbild, in dem die freie Handlung eines jeden der Möglichkeit eines gemeinsamen Lebens entgegensteht. Das lässt außen vor, dass die politische Herausbildung genau dieser Möglichkeit die eindeutigste Manifestation der kreativen Fähigkeiten der menschlichen Wesen ist und dass wir nicht als verlorene Atome in einer fremden Welt herumschwirren, sondern Wesen sind, die in ein Geflecht von Beziehungen unterschiedlichster Art geboren wurden, das wir mit uns herumtragen und mit unseren Artverwandten teilen.
Oder, um es anders auszudrücken, das dominierende liberale Konzept der Freiheit sperrt uns als unabhängige und kompetitive Wesen unter unserem Panzer ein und lässt uns die zahlreichen Bindungen, die unser tagtägliches Leben ermöglichen, nur soweit erkennen, wie es gemäß der Perspektive der bestehenden Institutionen notwendig ist und blockiert so ebenso unser gemeinsames Handeln. Darüber hinaus verstärkt diese Auffassung von Freiheit die Angst der führenden Schichten und macht diese zu einer allgemeinen Furcht der gesamten Bevölkerung, die realen Bedrohungen ausgesetzt ist, die sich nicht auf die mutmaßliche Kriminalität einiger Verrückter (die es unabhängig davon immer geben kann) zurückführen lassen, sondern auf die extreme Ungerechtigkeit, die dieses System hervorruft und auf seine Abschirmung gegenüber jeglichem Veränderungsversuch.
Unter diesen Umständen und mit dem Ziel, die Frage nach anderen Horizonten zu eröffnen, habe ich mich an nicht-liberale Autoren wie Marx gewandt, an Autoren, deren Liberalismus diskutiert wird, wie Spinoza und an zeitgenössische kritische Feministinnen, zu denen ich Rossi Braidotti und Vandana Shiva zähle. Bei diesen Autoren und Autorinnen fand ich nicht nur eine Vertiefung der Problematik, sondern auch eine deutliche Aufklärung über den ideologischen Stellenwert von Freiheit. Ausgehend von diesen Autorinnen und Autoren habe ich es gewagt, den Begriff neu zu definieren und dabei den Aspekt der Unabhängigkeit der Individuen voneinander zu minimieren und die Verbindung zwischen ihnen zu stärken. Auf diese Weise hört Freiheit auf, ein Synonym für den Gegensatz zwischen den menschlichen Wesen und der gegenseitigen Unabhängigkeit zu sein und beschreibt stattdessen die Eigenschaft, die allen menschlichen Wesen gleich ist, nämlich die Notwendigkeit, eine gemeinsame Welt zu schaffen, die nicht den Vorgaben bestimmter Menschen untersteht, seien es die Mächtigsten, Reichsten, Geschicktesten oder die Zynischsten.
Ausgehend von dieser Problematik gilt es, die Vorstellung des klassischen Freiheitskonzepts und des kollektiven Handelns zu untersuchen. Diese Perspektive lässt sich mit den Themen korrigieren, die die sozialen Bewegungen im Laufe der Geschichte aufwerfen. Sie betrachten das kollektive Handeln nicht als Unterwerfung unter die durch das Recht verfügten Normen, sondern als produktive Praktiken zur Erzeugung neuer theoretischer und politischer Methoden. Marx’ Kritik am liberalen Diskurs, die Analyse von Spinoza und die feministische Debatte tragen dazu bei, das Gebiet der Fragestellung zu ändern – nachdem wir uns von der klassischen These der liberalen Freiheit distanziert haben, beginnen wir uns Fragen zur Setzung des modernen Subjekts, zur Klassenherrschaft und zu den Möglichkeiten des kollektiven Handelns als einer Zusammenkunft von Einzelnen zu stellen.
In Anlehnung an Spinoza definieren wir Freiheit zu Beginn dieses 21. Jahrhunderts neu: als die fröhliche Leidenschaft der gemeinsamen Schaffung einer gemeinsamen Welt. Wir definieren sie neu in einer Zeit, in der wir mit unseren Eigenheiten im Schlepptau praktisch aufhören ‘Individuen’ und Teil eines Ganzen zu sein, um dazu überzugehen, die Anteile der Weltbevölkerung, denen es an Eigenressourcen fehlt, die jedoch unglaublich reich an Potenzial, Wissen und vielseitiger Kreativität sind, weiter anwachsen zu lassen; selbst wenn die Innovation – die heute noch stärker als einst durch die kapitalistische Rentabilität beschränkt wird – zuvor ungekannte Vermarktungsprozesse hervorruft und gleichzeitig eine nie dagewesene Prekarisierung fördert.
In diesen neuen Kontexten von Freiheit zu sprechen, verpflichtet uns zu einer höheren Präzision bei der Wortwahl. Nicht nur in Bezug auf die Klasse: Die Freiheit des Unternehmers steht in strikt umgekehrtem Verhältnis zu der Freiheit des Arbeiters und die Freiheit des Konsumenten tut dies in Bezug auf die Freiheit des Verkäufers. Ebenso verhält es sich mit den Geschlechtern: Die Freiheit des Mannes, das Miteinanderleben nach seinem Belieben zu gestalten, steht in strikt umgekehrter Proportion zu der Freiheit der Frau, ihre Zeit zu genießen und ihre Beschäftigungen frei zu wählen. Oder hinsichtlich der kolonialisierenden und kolonialisierten Länder: Die Freiheit der Kolonisatoren, ihre Herrschaft auszudehnen, steht in umgekehrtem Verhältnis zu der Freiheit der Kolonialisierten, das Ihrige zu bewahren. Das ist kein Problem der Perspektive: Wer die Freiheit des Unternehmers dazu verteidigt, seine Gewinne maximal zu steigern, verteidigt gleichzeitig die nicht vorhandene Freiheit der Arbeiter, sich den erzeugten Reichtum in größerem Umfang anzueignen, sei es im Herkunftsland oder in den fernen Kolonien. Wer die männliche Herrschaft verteidigt, verteidigt gleichzeitig die weibliche Unterordnung. Wer die Freiheit der imperialen Eroberungen verteidigt, verteidigt gleichzeitig den Verlust der Freiheit und in vielen Fällen des Lebens der Eroberten. Es scheint, als ob die Herrschaftslogik, die die Freiheitsrhetorik überall begleitet, keinen Ausweg kennt. Und ganz sicherlich gibt es keinen Ausweg, wenn wir nicht die Bedeutungen der Worte verändern. Lasst uns also dem Begriff der Freiheit eine neue und ihrem Kontext angemessene Bedeutung geben; eine Bedeutung, die die strikte Reduzierung auf die Unabhängigkeit und die Konkurrenz der Individuen untereinander überschreitet; die stattdessen auf die kreative Fähigkeit der Menschen hinweist, eine gemeinsame Welt für alle zu schaffen. Aus diesem Grund und angesichts des liberalen Freiheitskonzepts, das seine Einschränkung auf die individualistischen und wettbewerbsbezogenen Bestandteile á la “jeder-gegen-jeden“ verteidigt, möchte ich ein älteres und vielleicht auch philosophischeres Konzept einführen. Nach diesem Konzept verweist der Begriff der Freiheit auf die Möglichkeit der menschlichen Wesen, gemeinsam zu leben und ihre Fähigkeiten gemeinsam zu nutzen, wobei diese Fähigkeiten niemals im strikten Sinne individuell sind, sondern ein Resultat des kollektiv aufgebauten Lebens ebenso wie der gemeinsamen Kultur und der vererbten Sprache.
Anstatt von unabhängigen Subjekten aus- zugehen, deren einzige Gemeinschaftsform auf den Austausch beschränkt ist, auf das “ich gebe dir, damit du mir gibst” – wie die Klassiker sagten – müssen wir lernen, von einzelnen Lebewesen auszugehen, deren Körper sich in unendlichen Serien miteinander verbinden und deren Sprache uns seit dem Erwerb unserer ersten Worte in eine lange Geschichte kulturell konnotierter Begriffe einbindet. An erster Stelle steht nicht das Individuum als letztes soziales Atom, an erster Stelle steht die Gesamtheit sozialer, kultureller und wirtschaftlicher Verbindungen, in die wir hineingeboren werden und innerhalb derer wir uns sozialisieren. Nur durch sie und dank ihnen erlangen wir die Singularisierung. Freiheit kann also nicht als die Fähigkeit verstanden werden, die jeder Mensch hat, um zu sein wer er ist, um “sich selbst zu erschaffen”, wie die liberale Ideologie predigt, sondern als die gemeinsame Fähigkeit der menschlichen Wesen, zusammen eine Welt zu erfinden, in der viele Welten Platz finden. Diese Handlung, die eine Innovation einführt, die das menschliche Verhalten bestimmt, bedeutet jedoch keinen Sprung in die Leere. Sie hebt lediglich, obgleich dies schon viel ist, das Mehr an Vorstellungskraft, an Erfindungsgabe und an neuem politischen Schaffen hervor, das in einem bestimmten Moment erforderlich wird, um die Wiederholung der Herrschaftsvorgänge zu blockieren, die sich “naturalisiert” haben und zur Gewohnheit geworden sind. Hierfür braucht es Mut und Aufgeschlossenheit. Da alle Menschen von all dem, was uns umgibt und uns zu leben ermöglicht, eher abhängig als unabhängig sind, impliziert die Benutzung des Begriffs Freiheit immer, bestimmte Beziehungen zu verdrehen und durch andere zu ersetzen – Beziehungen, die in einigen Fällen einen höheren Grad an Gleichgewicht und Gegenseitigkeit erlauben, während andere schlicht und ergreifend den Austausch einer Herrschaft durch eine andere bedeuten.
Das Problem ist also nicht die Freiheit, sondern ihre andere Seite, die Herrschaft. Der ideologische Gebrauch des Begriffs vermittelt das Trugbild, dass in den “freien Gesellschaften” keinerlei Herrschaft existiert und alle Abhängigkeiten frei und freiwillig erworben wurden. Welch schreckliche Täuschung! Es wäre so viel ergiebiger, von der anderen Seite heranzugehen und die zahlreichen Abhängigkeiten und Fähigkeiten zu analysieren und davon ausgehend die politischen Strategien, die gerechte Beziehungen der Wechselseitigkeit schaffen, zu betrachten. Freiheit sollte ein Begriff sein, um Wechselseitigkeit, Gleichberechtigung und Kooperation in einer gemeinsamen Welt zu beschreiben. Die Annahme, wir seien frei in einer Welt der Herrschaft, impliziert ganz im Gegenteil, dass wir die Unterwerfung als einzige Möglichkeit zu leben verinnerlichen, selbst wenn dies unseren Wunsch zu leben in Frage stellt und unser eigenes Überleben anficht. Um abzuschließen, möchte ich lediglich hinzufügen, dass die große politische Aufgabe im beginnenden Jahrhundert meiner Meinung nach darin besteht, politische Formen einer lebendigen Demokratie oder auch einer Bio-Demokratie zu entwerfen, die dazu dienen, die gemeinsame Macht der Weltbevölkerung zu verbinden und so den Weg zu ihrer Befreiung zu ebnen. Und zwar nicht mehr zu ihrer Befreiung von den Kolonialmächten, den Patriarchen und Imperialisten, sondern zu ihrer Befreiung von Armut, Hunger und Krieg, die sich im Namen der Freiheit überall ausbreiten.