Mythos und Misere der industriellen Welt
Übersetzung: Brigitte Reitter
Wir streben sorglos dem Verderben zu, nachdem wir uns etwas direkt vor die Nase gesetzt haben, um es nicht zu sehen.
(PASCAL, Pensamientos, IX, 5)
1. Die Gesamtheit der Begriffe und Kategorien, die heute das Leben der Gesellschaften innerhalb der technologischen Zivilisation definieren, sollten nicht gemäß der ihnen zugewiesenen Bedeutung oder der akzeptierten Konventionen, sondern hinsichtlich der Übel, die sie verstecken wollen, überprüft werden. Und zwar so, wie es Karl Marx im Kapital formulierte, wenn er von den Verdrehungen der Ökonomen spricht, mit denen sie sich zu den von der Industrialisierung verursachten Schäden äußerten: „Nominibus mollire licet mala“ - „Es ist erlaubt, Schlechtes zu verharmlosen, indem man ihm einen anderen Namen gibt“.
2. Die Industrie ist nicht einfach ein Produktionssystem unter anderen und sie hat im Sinne der wirklichen Interessen der Gesellschaft keine übergeordnete Eignung als Mittel zum Zweck. Die Industrie steht um den Preis der Unterwerfung der Arbeiter und der vernunftlosen Ausbeutung der natürlichen Ressourcen mit ihrer widerstandsfähigen Ideologie, dem Industrialismus, für die technische Beherrschung der Kapitalmittel für die Ziele des Kapitals. Die Industrie ist nicht einfach ein Mittel, sondern das Mittel zum Zweck für das Kapital. Mithilfe der Industrie gelingt es dem Kapital, die Produktion zu intensivieren und sie in die Richtung ihrer maximalen Rentabilität zu lenken, während sie die Arbeiter dem blinden Aktivismus der Maschinen unterordnet und nicht andersherum.
3. Daher entsteht die Industrie aus keiner von der Gesellschaft aufgeworfenen Notwendigkeit. Die Maschine trägt demnach nicht zur Befreiung der Gesellschaft bei und entstand auch niemals zu diesem Zweck. Das moderne Zeitalter war bisher nicht einmal teilweise in der Lage, Maschinen oder technische Geräte zu konstruieren, die die Emanzipation einer Gesellschaft zum Ziel gehabt hätten. Alle Maschinen und geschmiedeten Instrumente des modernen Zeitalters wurden innerhalb des Prozesses der industriellen Bedürfnisse der Kapitalproduktion entwickelt und das Gesetz ihrer „Perfektionierung“ folgt den gleichen Voraussetzungen; entweder wurden die früheren Techniken zerstört oder sie wurden unter nicht wiedererkennbaren Formen in die neuen Produktionsprozesse integriert. Nur wenn man beabsichtigt, den verschobenen Charakter der Zwecke des industriellen Produktionssystems zu ignorieren, wie etwa das gigantische Netz der fiktiven Bedürfnisse, das erzeugt wurde, um die Anforderung derart hoher Renditen zu rechtfertigen, lässt sich glauben, dass es den Menschen irgendeine leidvolle Mühe erspart hätte.
4. Die Industrialisierung der Produktion und des sozialen Lebens ab Anfang des 19. Jahrhunderts und die an sie geknüpften Techniken stellen einen qualitativen Bruch in der Geschichte der Technik dar. Zuallererst handelt es sich um einen Bruch in Bezug auf die Beziehung des Menschen und seiner Werkzeuge zur Natur. Später betrifft der Bruch auch die Beziehung der Menschen untereinander. Damit ist es noch verständlicher, dass eine Kritik an der Technik, eine historische Einordnung erfordert.
Es geht weniger darum, ein Geburtsdatum der Industrialisierung festzulegen, um dann mit der Ziehung einer Grenzlinie zu behaupten „Davor war alles besser“, sondern es geht darum, in den Blick zu bekommen, wie sich die Industrialisierung unter Berücksichtigung der langen Dauer und der lebendigen Beschleunigungen der Geschichte tatsächlich verwirklicht hat und sie nach dem zu beurteilen, was sie ist. Wenn wir diese Anforderung berücksichtigen, wird es schwierig sein, uns irgendeine Form von Verteufelung der Technik oder eine ahistorische Vision derselben vorzuwerfen. Wenn es stimmt, dass sich jeder, der die aktuelle Gesellschaft zu kritisieren bereit ist, auf eine Vergangenheit beziehen muss, um die Symptome ihres Zusammenbruchs mit präzisen Beispielen zu belegen (und diese Notwendigkeit existiert tatsächlich), dann müsste er auch den Mut haben, sich der Vergangenheit zu bedienen, um Vorschläge zu machen, was von der gegenwärtigen Wirklichkeit aus noch möglich ist, statt sie nur als Kontrast zur Gegenwart zu benutzen. Daraus entsteht die Notwendigkeit, die heutigen und vergangenen Erfahrungen weiter zu entwickeln, zu unterstützen und die Erinnerungen aller sowie die „Sackgassen“ und die vergessenen geschichtlichen Tatsachen mit einzubeziehen.
5. Wir verstehen unter Autonomie der Technik
1) die Unterordnung des Sozialen unter das Technische, was bedeutet, dass „die Technik nicht mehr nur ein einfaches Mittel im Dienste der Ziele und Werte des Kollektivs ist, sondern dass sie zum unüberwindbaren Horizont des Systems wird“ (Latouche, La Mégamachine);
2) das, was letztendlich zum „système technicien“ wird, wie es Ellul nennt, (wir belassen es beim französischen Ausdruck, weil technicien hier nicht mit technisch übersetzt werden kann, ohne Verwirrung zu stiften) zeichnet sich durch die Tatsache aus, dass es dazu tendiert, technologische Störungen durch technologische Innovationen zu lösen und sich dadurch eines endlosen Wachstums zu versichern 1 ;
3) gleichwohl wäre diese selbständige Entwicklung der Technik, deren Stärke darin besteht, als unvermeidbar zu erscheinen, als schicksalhafte Umgebung, in der wir seit Anbeginn sind, zum Teil unmöglich, wenn es das grundlegend befürwortende Vorurteil der Menschen gegenüber dem Fortschritt nicht gäbe. Und sie wäre ebenso unmöglich ohne die Vereinfachung des Lebens, in das die Menschen sich versenken und glauben, darin den materiellen Komfort zu finden (und ohne Zweifel glaubt die Mehrheit, ihn darin zu finden), während das eigentlich nur zeigt, dass der Mensch jegliche Macht über sein Leben abgibt.
Auf der anderen Seite ist es offensichtlich, dass diese modernen, so gut ausgerüsteten Menschen die Kontrolle über bestimmte Handhabungen verloren haben und die meiste Zeit hilflos vor einem zu lösenden technischen Problem stehen oder sich mutterseelenallein vor einer beschädigten Maschine wiederfinden.
6. Für Jean-Marc Mandosio 2 ist die technische Entwicklung vor allem „ein politisches Programm“, eine große Auferlegung und damit je nach angetroffenen Widerständen, ein langer Krieg. Sie ist keineswegs Schicksal. Hier nähert sich Mandosio der Position von David Noble 3 . Es erscheint uns wichtig, diesen Punkt zu beachten, da er die Aussage zur technischen Autonomie, wie sie Ellul trifft, nuanciert, ohne sie dabei als solche in Frage zu stellen. Diese Autonomie ist insbesondere ab dem Moment möglich, an dem es die Menschen aufgeben, „Herren“ ihrer eigenen Lebensbedingungen zu sein - ein Verzicht, dem man geschichtlich nachgehen kann und muss (dazu gehört die Auflösung der Sozialordnung der Bauern und Handwerker, die erzwungene Einführung der Lohnarbeit, Massenkonsum, etc.). Aus diesem Grund müssen wir auf der Kolonialisierung der Vorstellungskraft durch die Fortschrittsideologie, durch die Kraft jenes Vorurteils, bestehen.
Das heißt, dass „ein technisches System niemals nur technisch ist, sondern gleichermaßen wirtschaftlich, sozial und politisch“. Die Autonomie der Technik ist das Ergebnis (und das Ziel) einer materialisierten Ideologie - es handelt sich um eine Umkehrung der Wirklichkeit und gleichzeitig um etwas sehr Reales. Aber im Gegensatz zu denen, die glauben, dass die technische Autonomie das Schicksal der Menschheit ist und sie diesem Götzen deswegen unterworfen bleibt, glauben wir, dass sie bekämpft werden kann, selbst wenn es bedeutet, uns gewissermaßen die Haut abzuziehen.
7. Die Herrschaft der Technologie ist vor allem deshalb so tief verwurzelt, weil sie seit langer Zeit alle Sphären unseres materiellen Lebens befallen hat. Dieses war zu anderen Zeiten sicher begrenzt und erfüllte die Bedingungen des Elends, aber es zeichnete sich dadurch aus, eine selbstgenügsame Produktion zu betreiben, die – oft ergänzt von verschiedensten Wechselwirkungen durch das Tauschgeschäft – die Grundbedürfnisse befriedigte. Stattdessen hat die Einführung der Technologie in Form von Konsumgütern in unsere Leben nicht mehr vollbracht, als uns Pseudobedürfnissen zu unterwerfen. Güter ohne Namen, die von anderen produziert werden. Güter, die man nur unter der Bedingung erwerben kann, für andere zu produzieren, in einem Produktionsprozess, in dem wir weder Kontinuität, noch Inhalt steuern können, und dessen Lebensraum uns immer widerwärtiger, immer erniedrigender erscheint, im Tausch gegen ein Gehalt, welches wiederum erlaubt, die so produzierten Nichtigkeiten zu erwerben.
Gleichzeitig erscheinen die Pseudobedürfnisse in der modernen Welt unvermeidbar – und in gewisser Weise sind sie das auch. Tatsächlich geht es darum, dass sie sich nicht nur kulturell erforderlich gemacht haben, sondern auch strukturell. Das heißt, dass sie auf totalitäre Weise den Raum und die Zeit unseres Lebens formen, wobei sie zuvor mit aller Sorgfalt jede mögliche Alternative zerstört oder ausradiert haben. Es ist das gesamte materielle Leben, das umgewandelt wurde.
8. Von all dem Vorangegangenen leitet sich ab, dass die moderne und industrielle Gesellschaft zu keiner Zeit eine instrumentelle Nutzung der Technik gekannt hat: Es handelt sich um die erste Zivilisation, die sich in der Identifikation mit einem technischen System vollständig entfremdet hat. Und daher gilt es, die exakte Bedeutung der Entfremdung in einem technischen System, wie von Mandosio dargelegt, in ihren Feinheiten zu erfassen. Bei ihm hat der Begriff der Entfremdung eine neutrale Komponente – er führt ihn auf seinen hegelianischen Kontext zurück und setzt ihn mit dessen Bedeutung der Vergegenständlichung gleich – insofern, dass sich das Bewusstsein, wenn es sich nach außen kehrt, vergegenständlicht. Für uns indes ist es dennoch wichtig, auf jede Form der negativen Konnotation des Begriffs Entfremdung hinzuweisen, soweit diese einen Autonomieverlust beinhaltet. Schon Lukacs zeichnet 1967 im Prolog von Geschichte und Klassenbewusstsein einen Unterschied auf zwischen der Entfremdung als Vergegenständlichung – der er einen neutralen Charakter zugesteht – und der Entfremdung als objektiv gesellschaftliche Verhältnisse der Entfremdung. Wählen wir für den Begriff von Entfremdung die Vergegenständlichung, so müssen wir Mandosio darin zustimmen, dass es unmöglich ist und auch überhaupt keinen Sinn ergäbe, uns vollständig von einem technischen System zu lösen und dass die Gesellschaft nicht mit jeder Form von Technik brechen könne. Deshalb stimmen wir mit ihm überein, wenn er sagt: „die völlige Abwesenheit von Entfremdung, also die reine Autonomie, ist unmöglich“. Wir möchten den entfremdenden Charakter der Technik – oder eines technischen Systems – hier aber vor allem als historisch-soziales Phänomen unterstreichen – ein Phänomen, das sich dadurch äußert, dass eine bestimmte Gesellschaft, nämlich die unsere, seit einem bestimmten Zeitraum, nämlich dem 18./19. Jahrhundert, die Bedingungen ihrer eigenen Existenz auf die technischen Strukturen, die wiederum an kapitalistischen Produktionsformen gekoppelt sind, überträgt.
Dem entfremdenden Charakter dieses technischen Systems muss man das Projekt der Autonomie als einen Weg der sozialen und individuellen Emanzipation entgegensetzen. Dieser Weg lässt sich jedoch nicht auf die Beseitigung des Privateigentums und die Aneignung der Produktionsmittel durch die Arbeiter reduzieren, wie es viele Marxisten dachten und heute noch denken. Vielmehr schließt er den Prozess ein, durch den die Menschen außerhalb und innerhalb der Produktionsbereiche die Zügel zur Organisation ihrer eigenen Existenz in die Hand nehmen und gemeinsam über den Stellenwert und die Befriedigung ihrer Bedürfnisse entscheiden.
Ganz zu schweigen davon, dass das heute herrschende technische System eher ein Mittel zur Verschleierung statt zur Klärung jener Bedürfnisse ist. Sein eigenständiges Wachstum setzt also den andauernden Verlust der Autonomie der jeweiligen Gesellschaft voraus. Wenn die Gesellschaft die Herrschaft über ein bestimmtes technisches System verliert – in diesem Fall über die Industrie und die Wissenschaft, die heute vollständig im Dienste der technologischen Innovation stehen – kann sie gar nicht anders, als sich selbst vollständig zu instrumentalisieren und sich in technischen Bedürfnissen widerzuspiegeln. Sie kann die Instrumente, die sie produziert, nicht nutzen, sondern nur von diesen benutzt werden.
9. Maschinen Neutralität zuzusprechen, setzt den Glauben an das Vorurteil voraus, dass die Industrie oder die Maschinen sich von ihrem privaten und totalitären Einsatz loslösen ließen und in einem anderen sozialen Kontext ihren Kurs ändern könnten: Diese Auffassung ignoriert, dass jegliche technische Struktur, von ihren kleinsten Voraussetzungen bis zu ihren kolossalsten Schöpfungen, in Vorstellung und Erscheinung auf den Interessen gründet, die sie verkörpert. Die Analyse der industriellen Produktion und aller zur Verfügung stehenden Technologien muss daher radikal sein. Es geht nicht darum, einen Weg für die Neuausrichtung eines bestimmten technischen Systems zu finden. Es geht vielmehr darum, das ideologische Fundament freizulegen, das die Gesamtheit der Gesellschaft an all jene Bedürfnisse bindet, die von dem technischen System verursacht werden, an dessen konkreter Gestalt (der entwickelten industriellen Gestalt) wir leiden.
Diejenigen, die der Technik – abgesehen von ihrem unglücklichen Einsatz in den Händen der Anführer der Herrschaft – wohlwollend eine positive Qualität zusprechen, haben nicht verstanden, dass sich die Gesellschaft zuerst von den Ansprüchen der Herrschenden unabhängig machen muss, um die technische Entfremdung aufzuheben. Denn die vermeintlich positive – oder zumindest neutrale – Qualität einer bestimmten technischen Umgebung kann nicht getrennt von ihrer Nutzung in der ihr untergeordneten, heutigen Gesellschaft beurteilt werden. Dementsprechend lässt sich ihr Nutzen oder ihre Effizienz nicht jenseits dieser Bedingungen einschätzen.
10. Das „Beharrungsvermögen“ lässt sich nicht mehr im Bereich traditioneller Strukturen (Bauern, Künstlervereinigungen, bestimmte Sektoren der Arbeiterklasse) verorten, denn diese haben eine schnelle Einführung der technischen Innovationen behindert. Vielmehr hat sich das Beharrungsvermögen in die Sphäre der Ideologie des technologischen Fort schritts verlagert, in der jede Innovation mit Begeisterung aufgenommen wird. Es ist daher wichtig zu verstehen, wie und warum das „Beharrungsvermögen“ schließlich „das Feld gewechselt hat“ und wie es bezogen auf den materiellen und mentalen Zustand der westlichen Gesellschaft – entgegen aller Kontroversen – gegen uns arbeitet. Gleichzeitig lässt sich der Zerfall und eine gewisse Abtrünnigkeit wahrnehmen, die durch die letzten Krisen hervorgerufen wurden. Deshalb geht es auch darum, zu verstehen, wie sich dieses heute existierende Beharrungsvermögen, das für das technologische Ganze und die Industrialisierung des Lebens Partei ergriffen hat, untergraben lässt. Aus dieser Perspektive ist es einerseits interessant zu sehen, was uns die Begegnung mit anderen Produktionsmodellen traditionellerer Gesellschaften bringen kann und andererseits von Bedeutung, das Gewicht des „westlichen Beharrungsvermögens“ weltweit zu überprüfen. Schlussendlich kann die Kritik an der allumfassenden Macht des technischen Systems über unser Leben – sowohl in der Form todbringender Schädlichkeit als auch durch entfremdende Strukturen – nicht ignorieren, dass die Arbeiterschaft durch ihre defensive und legitime Position als indirekte Stütze der Industrie vielleicht eine wichtige Rolle spielen wird.
11. Wenn der Industrialisierungsprozess auch einen ersten Bruch mit den Grenzen, die der menschlichen Herrschaft und seiner Expansionsfähigkeit durch die Natur auferlegt sind, voraussetzte, so wussten wir zumindest, dass es diese Grenzen gab und wir konnten die Auswirkungen und schädlichen Konsequenzen dieses Prozesses klar ausmachen. Und zwar zu dem Zeitpunkt, an dem die Obergrenze erreicht wurde und dies identifizierbare Störungen hervorrief. Heute jedoch schließt der Vormarsch der Industrialisierung die vollständige Verkünstlichung der Umwelt mit ein, über die vorgesehen ist, sich ohne Hindernisse hinwegzusetzen. Ganz offensichtlich lässt sich dies auf die wissenschaftliche und industrielle Entwicklung der Biotechnologien (wie es auch bei der Nuklearenergie schon der Fall war) zurückführen. Die Verkünstlichung kann zwei Faktoren zugeordnet werden. An erster Stelle handelt es sich um den Faktor der sogenannten Verbesserung der Arten. Im Grunde geht es hier lediglich darum, die genetische Grundlage der Arten so zu verändern, dass sie sich an ein Umfeld anpassen können, das die Industrialisierung und der Markt zuvor zerstört haben (Naturverschmutzung, Überproduktion, Aussterben der Artenvielfalt, Klimawandel, Zerstörung integrierter landwirtschaftlicher Bewirtschaftungsmaßnahmen, Zerstörung lokaler Ökonomien usw.). An zweiter Stelle versucht die neue industrielle Welt durch diese Verkünstlichung, die sich als Verbesserung und Perfektion der Arten darstellt, ein Experimentierfeld und einen Bereich der Ausbeutung zu entwerfen, in dem die schädlichen Auswirkungen nicht erkennbar sind. Denn wenn die Grenzen des natürlichen Umfelds einmal zerstört sind, bleibt kein Referenzpunkt mehr, von dem aus ein Gleichgewicht zwischen menschlichen Bedürfnissen und den Bedürfnissen eines bestimmten Ökosystems hergestellt werden kann. Im Gegenteil: Genau die Formen der Natur, die die Kriterien der Perfektion und Ausbeutung nicht erwidern, werden jetzt verdächtigt, ein starkes Ungleichgewicht zu verursachen. Und genau an diesen Punkt, an die Umkehrung der Beziehung des Menschen mit seiner natürlichen Umgebung, wird die totalitäre Beherrschung gelangen und ist sie bereits gelangt.
1 Ellul sagt: „Das eigenständige Wachstum überdeckt die Phänomene. Auf der einen Seite hat die Technik einen gewissen Punkt der Evolution erreicht, an dem sie sich ohne maßgeblichen Eingriff des Menschen verändert und weiterentwickelt, und zwar durch eine innere Kraft, die sie zum Wachstum anregt, das sie aus dem Bedürfnis zur unermüdlichen Entwicklung hervorruft. Auf der anderen Seite sind alle Menschen unserer Zeit derart begeistert von der Technik, derart vom technischen Umfeld ermutigt, dass ungeachtet ihres Berufs, alle danach streben das Instrument, das sie besitzen, so gut wie möglich zu nutzen, oder die Methode, die Apparate zu perfektionieren (..) und damit entwickelt sich die Technik als Auswirkung des Handelns aller weiter.“ (Ellul, Le système technicien, 1977, S. 229). Auf den Seiten des Courrier International kann man bezüglich der Nanotechnologien ein Beispiel dieser Flucht der Technik nach vorn finden, und zugleich einen Aberglauben bezüglich des Fortschritts und einer als Bedürfnis maskierten Erpressung, die vorgibt uns Tugenden dieses ach so schmeichelnden Fortschritts zu bringen: „Wenn eine neue Technologie Risiken mit sich bringt, sagen die Menschen vielleicht, das sei ausreichend, um sie nicht zum Einsatz zu bringen.“ sagt Ralph Merke. Aber dann würde es sich um einen großen Verlust für die Gesellschaft handeln. „Wir würden dann nicht nur die Vorteile dieser neuen Technologie verlieren, sondern, und das ist sehr wichtig, könnten dann auch nicht alle von ihr eröffneten Möglichkeiten verstehen.“ Der Wissenschaftler fährt fort: „Und wie wäre es uns dann möglich, uns zu verteidigen, wenn andere sie vor uns entwickeln?“
2 Los amigos de Ludd übersetzten und publizierten Jean-Marc Mandioso für ihre Bulletins.
3 vgl. En defensa del luddismo, una visiòn diferente del progreso, Alikornio; El diseno de Estados Unidos, Ministerio de Trabajo y Seguridad Social.
1. Die Gesamtheit der Begriffe und Kategorien, die heute das Leben der Gesellschaften innerhalb der technologischen Zivilisation definieren, sollten nicht gemäß der ihnen zugewiesenen Bedeutung oder der akzeptierten Konventionen, sondern hinsichtlich der Übel, die sie verstecken wollen, überprüft werden. Und zwar so, wie es Karl Marx im Kapital formulierte, wenn er von den Verdrehungen der Ökonomen spricht, mit denen sie sich zu den von der Industrialisierung verursachten Schäden äußerten: „Nominibus mollire licet mala“ - „Es ist erlaubt, Schlechtes zu verharmlosen, indem man ihm einen anderen Namen gibt“.
2. Die Industrie ist nicht einfach ein Produktionssystem unter anderen und sie hat im Sinne der wirklichen Interessen der Gesellschaft keine übergeordnete Eignung als Mittel zum Zweck. Die Industrie steht um den Preis der Unterwerfung der Arbeiter und der vernunftlosen Ausbeutung der natürlichen Ressourcen mit ihrer widerstandsfähigen Ideologie, dem Industrialismus, für die technische Beherrschung der Kapitalmittel für die Ziele des Kapitals. Die Industrie ist nicht einfach ein Mittel, sondern das Mittel zum Zweck für das Kapital. Mithilfe der Industrie gelingt es dem Kapital, die Produktion zu intensivieren und sie in die Richtung ihrer maximalen Rentabilität zu lenken, während sie die Arbeiter dem blinden Aktivismus der Maschinen unterordnet und nicht andersherum.
3. Daher entsteht die Industrie aus keiner von der Gesellschaft aufgeworfenen Notwendigkeit. Die Maschine trägt demnach nicht zur Befreiung der Gesellschaft bei und entstand auch niemals zu diesem Zweck. Das moderne Zeitalter war bisher nicht einmal teilweise in der Lage, Maschinen oder technische Geräte zu konstruieren, die die Emanzipation einer Gesellschaft zum Ziel gehabt hätten. Alle Maschinen und geschmiedeten Instrumente des modernen Zeitalters wurden innerhalb des Prozesses der industriellen Bedürfnisse der Kapitalproduktion entwickelt und das Gesetz ihrer „Perfektionierung“ folgt den gleichen Voraussetzungen; entweder wurden die früheren Techniken zerstört oder sie wurden unter nicht wiedererkennbaren Formen in die neuen Produktionsprozesse integriert. Nur wenn man beabsichtigt, den verschobenen Charakter der Zwecke des industriellen Produktionssystems zu ignorieren, wie etwa das gigantische Netz der fiktiven Bedürfnisse, das erzeugt wurde, um die Anforderung derart hoher Renditen zu rechtfertigen, lässt sich glauben, dass es den Menschen irgendeine leidvolle Mühe erspart hätte.
4. Die Industrialisierung der Produktion und des sozialen Lebens ab Anfang des 19. Jahrhunderts und die an sie geknüpften Techniken stellen einen qualitativen Bruch in der Geschichte der Technik dar. Zuallererst handelt es sich um einen Bruch in Bezug auf die Beziehung des Menschen und seiner Werkzeuge zur Natur. Später betrifft der Bruch auch die Beziehung der Menschen untereinander. Damit ist es noch verständlicher, dass eine Kritik an der Technik, eine historische Einordnung erfordert.
Es geht weniger darum, ein Geburtsdatum der Industrialisierung festzulegen, um dann mit der Ziehung einer Grenzlinie zu behaupten „Davor war alles besser“, sondern es geht darum, in den Blick zu bekommen, wie sich die Industrialisierung unter Berücksichtigung der langen Dauer und der lebendigen Beschleunigungen der Geschichte tatsächlich verwirklicht hat und sie nach dem zu beurteilen, was sie ist. Wenn wir diese Anforderung berücksichtigen, wird es schwierig sein, uns irgendeine Form von Verteufelung der Technik oder eine ahistorische Vision derselben vorzuwerfen. Wenn es stimmt, dass sich jeder, der die aktuelle Gesellschaft zu kritisieren bereit ist, auf eine Vergangenheit beziehen muss, um die Symptome ihres Zusammenbruchs mit präzisen Beispielen zu belegen (und diese Notwendigkeit existiert tatsächlich), dann müsste er auch den Mut haben, sich der Vergangenheit zu bedienen, um Vorschläge zu machen, was von der gegenwärtigen Wirklichkeit aus noch möglich ist, statt sie nur als Kontrast zur Gegenwart zu benutzen. Daraus entsteht die Notwendigkeit, die heutigen und vergangenen Erfahrungen weiter zu entwickeln, zu unterstützen und die Erinnerungen aller sowie die „Sackgassen“ und die vergessenen geschichtlichen Tatsachen mit einzubeziehen.
5. Wir verstehen unter Autonomie der Technik
1) die Unterordnung des Sozialen unter das Technische, was bedeutet, dass „die Technik nicht mehr nur ein einfaches Mittel im Dienste der Ziele und Werte des Kollektivs ist, sondern dass sie zum unüberwindbaren Horizont des Systems wird“ (Latouche, La Mégamachine);
2) das, was letztendlich zum „système technicien“ wird, wie es Ellul nennt, (wir belassen es beim französischen Ausdruck, weil technicien hier nicht mit technisch übersetzt werden kann, ohne Verwirrung zu stiften) zeichnet sich durch die Tatsache aus, dass es dazu tendiert, technologische Störungen durch technologische Innovationen zu lösen und sich dadurch eines endlosen Wachstums zu versichern 1 ;
3) gleichwohl wäre diese selbständige Entwicklung der Technik, deren Stärke darin besteht, als unvermeidbar zu erscheinen, als schicksalhafte Umgebung, in der wir seit Anbeginn sind, zum Teil unmöglich, wenn es das grundlegend befürwortende Vorurteil der Menschen gegenüber dem Fortschritt nicht gäbe. Und sie wäre ebenso unmöglich ohne die Vereinfachung des Lebens, in das die Menschen sich versenken und glauben, darin den materiellen Komfort zu finden (und ohne Zweifel glaubt die Mehrheit, ihn darin zu finden), während das eigentlich nur zeigt, dass der Mensch jegliche Macht über sein Leben abgibt.
Auf der anderen Seite ist es offensichtlich, dass diese modernen, so gut ausgerüsteten Menschen die Kontrolle über bestimmte Handhabungen verloren haben und die meiste Zeit hilflos vor einem zu lösenden technischen Problem stehen oder sich mutterseelenallein vor einer beschädigten Maschine wiederfinden.
6. Für Jean-Marc Mandosio 2 ist die technische Entwicklung vor allem „ein politisches Programm“, eine große Auferlegung und damit je nach angetroffenen Widerständen, ein langer Krieg. Sie ist keineswegs Schicksal. Hier nähert sich Mandosio der Position von David Noble 3 . Es erscheint uns wichtig, diesen Punkt zu beachten, da er die Aussage zur technischen Autonomie, wie sie Ellul trifft, nuanciert, ohne sie dabei als solche in Frage zu stellen. Diese Autonomie ist insbesondere ab dem Moment möglich, an dem es die Menschen aufgeben, „Herren“ ihrer eigenen Lebensbedingungen zu sein - ein Verzicht, dem man geschichtlich nachgehen kann und muss (dazu gehört die Auflösung der Sozialordnung der Bauern und Handwerker, die erzwungene Einführung der Lohnarbeit, Massenkonsum, etc.). Aus diesem Grund müssen wir auf der Kolonialisierung der Vorstellungskraft durch die Fortschrittsideologie, durch die Kraft jenes Vorurteils, bestehen.
Das heißt, dass „ein technisches System niemals nur technisch ist, sondern gleichermaßen wirtschaftlich, sozial und politisch“. Die Autonomie der Technik ist das Ergebnis (und das Ziel) einer materialisierten Ideologie - es handelt sich um eine Umkehrung der Wirklichkeit und gleichzeitig um etwas sehr Reales. Aber im Gegensatz zu denen, die glauben, dass die technische Autonomie das Schicksal der Menschheit ist und sie diesem Götzen deswegen unterworfen bleibt, glauben wir, dass sie bekämpft werden kann, selbst wenn es bedeutet, uns gewissermaßen die Haut abzuziehen.
7. Die Herrschaft der Technologie ist vor allem deshalb so tief verwurzelt, weil sie seit langer Zeit alle Sphären unseres materiellen Lebens befallen hat. Dieses war zu anderen Zeiten sicher begrenzt und erfüllte die Bedingungen des Elends, aber es zeichnete sich dadurch aus, eine selbstgenügsame Produktion zu betreiben, die – oft ergänzt von verschiedensten Wechselwirkungen durch das Tauschgeschäft – die Grundbedürfnisse befriedigte. Stattdessen hat die Einführung der Technologie in Form von Konsumgütern in unsere Leben nicht mehr vollbracht, als uns Pseudobedürfnissen zu unterwerfen. Güter ohne Namen, die von anderen produziert werden. Güter, die man nur unter der Bedingung erwerben kann, für andere zu produzieren, in einem Produktionsprozess, in dem wir weder Kontinuität, noch Inhalt steuern können, und dessen Lebensraum uns immer widerwärtiger, immer erniedrigender erscheint, im Tausch gegen ein Gehalt, welches wiederum erlaubt, die so produzierten Nichtigkeiten zu erwerben.
Gleichzeitig erscheinen die Pseudobedürfnisse in der modernen Welt unvermeidbar – und in gewisser Weise sind sie das auch. Tatsächlich geht es darum, dass sie sich nicht nur kulturell erforderlich gemacht haben, sondern auch strukturell. Das heißt, dass sie auf totalitäre Weise den Raum und die Zeit unseres Lebens formen, wobei sie zuvor mit aller Sorgfalt jede mögliche Alternative zerstört oder ausradiert haben. Es ist das gesamte materielle Leben, das umgewandelt wurde.
8. Von all dem Vorangegangenen leitet sich ab, dass die moderne und industrielle Gesellschaft zu keiner Zeit eine instrumentelle Nutzung der Technik gekannt hat: Es handelt sich um die erste Zivilisation, die sich in der Identifikation mit einem technischen System vollständig entfremdet hat. Und daher gilt es, die exakte Bedeutung der Entfremdung in einem technischen System, wie von Mandosio dargelegt, in ihren Feinheiten zu erfassen. Bei ihm hat der Begriff der Entfremdung eine neutrale Komponente – er führt ihn auf seinen hegelianischen Kontext zurück und setzt ihn mit dessen Bedeutung der Vergegenständlichung gleich – insofern, dass sich das Bewusstsein, wenn es sich nach außen kehrt, vergegenständlicht. Für uns indes ist es dennoch wichtig, auf jede Form der negativen Konnotation des Begriffs Entfremdung hinzuweisen, soweit diese einen Autonomieverlust beinhaltet. Schon Lukacs zeichnet 1967 im Prolog von Geschichte und Klassenbewusstsein einen Unterschied auf zwischen der Entfremdung als Vergegenständlichung – der er einen neutralen Charakter zugesteht – und der Entfremdung als objektiv gesellschaftliche Verhältnisse der Entfremdung. Wählen wir für den Begriff von Entfremdung die Vergegenständlichung, so müssen wir Mandosio darin zustimmen, dass es unmöglich ist und auch überhaupt keinen Sinn ergäbe, uns vollständig von einem technischen System zu lösen und dass die Gesellschaft nicht mit jeder Form von Technik brechen könne. Deshalb stimmen wir mit ihm überein, wenn er sagt: „die völlige Abwesenheit von Entfremdung, also die reine Autonomie, ist unmöglich“. Wir möchten den entfremdenden Charakter der Technik – oder eines technischen Systems – hier aber vor allem als historisch-soziales Phänomen unterstreichen – ein Phänomen, das sich dadurch äußert, dass eine bestimmte Gesellschaft, nämlich die unsere, seit einem bestimmten Zeitraum, nämlich dem 18./19. Jahrhundert, die Bedingungen ihrer eigenen Existenz auf die technischen Strukturen, die wiederum an kapitalistischen Produktionsformen gekoppelt sind, überträgt.
Dem entfremdenden Charakter dieses technischen Systems muss man das Projekt der Autonomie als einen Weg der sozialen und individuellen Emanzipation entgegensetzen. Dieser Weg lässt sich jedoch nicht auf die Beseitigung des Privateigentums und die Aneignung der Produktionsmittel durch die Arbeiter reduzieren, wie es viele Marxisten dachten und heute noch denken. Vielmehr schließt er den Prozess ein, durch den die Menschen außerhalb und innerhalb der Produktionsbereiche die Zügel zur Organisation ihrer eigenen Existenz in die Hand nehmen und gemeinsam über den Stellenwert und die Befriedigung ihrer Bedürfnisse entscheiden.
Ganz zu schweigen davon, dass das heute herrschende technische System eher ein Mittel zur Verschleierung statt zur Klärung jener Bedürfnisse ist. Sein eigenständiges Wachstum setzt also den andauernden Verlust der Autonomie der jeweiligen Gesellschaft voraus. Wenn die Gesellschaft die Herrschaft über ein bestimmtes technisches System verliert – in diesem Fall über die Industrie und die Wissenschaft, die heute vollständig im Dienste der technologischen Innovation stehen – kann sie gar nicht anders, als sich selbst vollständig zu instrumentalisieren und sich in technischen Bedürfnissen widerzuspiegeln. Sie kann die Instrumente, die sie produziert, nicht nutzen, sondern nur von diesen benutzt werden.
9. Maschinen Neutralität zuzusprechen, setzt den Glauben an das Vorurteil voraus, dass die Industrie oder die Maschinen sich von ihrem privaten und totalitären Einsatz loslösen ließen und in einem anderen sozialen Kontext ihren Kurs ändern könnten: Diese Auffassung ignoriert, dass jegliche technische Struktur, von ihren kleinsten Voraussetzungen bis zu ihren kolossalsten Schöpfungen, in Vorstellung und Erscheinung auf den Interessen gründet, die sie verkörpert. Die Analyse der industriellen Produktion und aller zur Verfügung stehenden Technologien muss daher radikal sein. Es geht nicht darum, einen Weg für die Neuausrichtung eines bestimmten technischen Systems zu finden. Es geht vielmehr darum, das ideologische Fundament freizulegen, das die Gesamtheit der Gesellschaft an all jene Bedürfnisse bindet, die von dem technischen System verursacht werden, an dessen konkreter Gestalt (der entwickelten industriellen Gestalt) wir leiden.
Diejenigen, die der Technik – abgesehen von ihrem unglücklichen Einsatz in den Händen der Anführer der Herrschaft – wohlwollend eine positive Qualität zusprechen, haben nicht verstanden, dass sich die Gesellschaft zuerst von den Ansprüchen der Herrschenden unabhängig machen muss, um die technische Entfremdung aufzuheben. Denn die vermeintlich positive – oder zumindest neutrale – Qualität einer bestimmten technischen Umgebung kann nicht getrennt von ihrer Nutzung in der ihr untergeordneten, heutigen Gesellschaft beurteilt werden. Dementsprechend lässt sich ihr Nutzen oder ihre Effizienz nicht jenseits dieser Bedingungen einschätzen.
10. Das „Beharrungsvermögen“ lässt sich nicht mehr im Bereich traditioneller Strukturen (Bauern, Künstlervereinigungen, bestimmte Sektoren der Arbeiterklasse) verorten, denn diese haben eine schnelle Einführung der technischen Innovationen behindert. Vielmehr hat sich das Beharrungsvermögen in die Sphäre der Ideologie des technologischen Fort schritts verlagert, in der jede Innovation mit Begeisterung aufgenommen wird. Es ist daher wichtig zu verstehen, wie und warum das „Beharrungsvermögen“ schließlich „das Feld gewechselt hat“ und wie es bezogen auf den materiellen und mentalen Zustand der westlichen Gesellschaft – entgegen aller Kontroversen – gegen uns arbeitet. Gleichzeitig lässt sich der Zerfall und eine gewisse Abtrünnigkeit wahrnehmen, die durch die letzten Krisen hervorgerufen wurden. Deshalb geht es auch darum, zu verstehen, wie sich dieses heute existierende Beharrungsvermögen, das für das technologische Ganze und die Industrialisierung des Lebens Partei ergriffen hat, untergraben lässt. Aus dieser Perspektive ist es einerseits interessant zu sehen, was uns die Begegnung mit anderen Produktionsmodellen traditionellerer Gesellschaften bringen kann und andererseits von Bedeutung, das Gewicht des „westlichen Beharrungsvermögens“ weltweit zu überprüfen. Schlussendlich kann die Kritik an der allumfassenden Macht des technischen Systems über unser Leben – sowohl in der Form todbringender Schädlichkeit als auch durch entfremdende Strukturen – nicht ignorieren, dass die Arbeiterschaft durch ihre defensive und legitime Position als indirekte Stütze der Industrie vielleicht eine wichtige Rolle spielen wird.
11. Wenn der Industrialisierungsprozess auch einen ersten Bruch mit den Grenzen, die der menschlichen Herrschaft und seiner Expansionsfähigkeit durch die Natur auferlegt sind, voraussetzte, so wussten wir zumindest, dass es diese Grenzen gab und wir konnten die Auswirkungen und schädlichen Konsequenzen dieses Prozesses klar ausmachen. Und zwar zu dem Zeitpunkt, an dem die Obergrenze erreicht wurde und dies identifizierbare Störungen hervorrief. Heute jedoch schließt der Vormarsch der Industrialisierung die vollständige Verkünstlichung der Umwelt mit ein, über die vorgesehen ist, sich ohne Hindernisse hinwegzusetzen. Ganz offensichtlich lässt sich dies auf die wissenschaftliche und industrielle Entwicklung der Biotechnologien (wie es auch bei der Nuklearenergie schon der Fall war) zurückführen. Die Verkünstlichung kann zwei Faktoren zugeordnet werden. An erster Stelle handelt es sich um den Faktor der sogenannten Verbesserung der Arten. Im Grunde geht es hier lediglich darum, die genetische Grundlage der Arten so zu verändern, dass sie sich an ein Umfeld anpassen können, das die Industrialisierung und der Markt zuvor zerstört haben (Naturverschmutzung, Überproduktion, Aussterben der Artenvielfalt, Klimawandel, Zerstörung integrierter landwirtschaftlicher Bewirtschaftungsmaßnahmen, Zerstörung lokaler Ökonomien usw.). An zweiter Stelle versucht die neue industrielle Welt durch diese Verkünstlichung, die sich als Verbesserung und Perfektion der Arten darstellt, ein Experimentierfeld und einen Bereich der Ausbeutung zu entwerfen, in dem die schädlichen Auswirkungen nicht erkennbar sind. Denn wenn die Grenzen des natürlichen Umfelds einmal zerstört sind, bleibt kein Referenzpunkt mehr, von dem aus ein Gleichgewicht zwischen menschlichen Bedürfnissen und den Bedürfnissen eines bestimmten Ökosystems hergestellt werden kann. Im Gegenteil: Genau die Formen der Natur, die die Kriterien der Perfektion und Ausbeutung nicht erwidern, werden jetzt verdächtigt, ein starkes Ungleichgewicht zu verursachen. Und genau an diesen Punkt, an die Umkehrung der Beziehung des Menschen mit seiner natürlichen Umgebung, wird die totalitäre Beherrschung gelangen und ist sie bereits gelangt.
1 Ellul sagt: „Das eigenständige Wachstum überdeckt die Phänomene. Auf der einen Seite hat die Technik einen gewissen Punkt der Evolution erreicht, an dem sie sich ohne maßgeblichen Eingriff des Menschen verändert und weiterentwickelt, und zwar durch eine innere Kraft, die sie zum Wachstum anregt, das sie aus dem Bedürfnis zur unermüdlichen Entwicklung hervorruft. Auf der anderen Seite sind alle Menschen unserer Zeit derart begeistert von der Technik, derart vom technischen Umfeld ermutigt, dass ungeachtet ihres Berufs, alle danach streben das Instrument, das sie besitzen, so gut wie möglich zu nutzen, oder die Methode, die Apparate zu perfektionieren (..) und damit entwickelt sich die Technik als Auswirkung des Handelns aller weiter.“ (Ellul, Le système technicien, 1977, S. 229). Auf den Seiten des Courrier International kann man bezüglich der Nanotechnologien ein Beispiel dieser Flucht der Technik nach vorn finden, und zugleich einen Aberglauben bezüglich des Fortschritts und einer als Bedürfnis maskierten Erpressung, die vorgibt uns Tugenden dieses ach so schmeichelnden Fortschritts zu bringen: „Wenn eine neue Technologie Risiken mit sich bringt, sagen die Menschen vielleicht, das sei ausreichend, um sie nicht zum Einsatz zu bringen.“ sagt Ralph Merke. Aber dann würde es sich um einen großen Verlust für die Gesellschaft handeln. „Wir würden dann nicht nur die Vorteile dieser neuen Technologie verlieren, sondern, und das ist sehr wichtig, könnten dann auch nicht alle von ihr eröffneten Möglichkeiten verstehen.“ Der Wissenschaftler fährt fort: „Und wie wäre es uns dann möglich, uns zu verteidigen, wenn andere sie vor uns entwickeln?“
2 Los amigos de Ludd übersetzten und publizierten Jean-Marc Mandioso für ihre Bulletins.
3 vgl. En defensa del luddismo, una visiòn diferente del progreso, Alikornio; El diseno de Estados Unidos, Ministerio de Trabajo y Seguridad Social.