TERROR MATER

terror6

Ilustração: Azul Azul

Übersetzung: Camilla Elle

„Jetzt aber, ahnest du das, was der Feldherr
Uns kundgetan, in offner Stadt, soeben?
Hast du gehört es? oder weißt du nicht,
Wie auf die Lieben kommet Feindesübel?“
Antigone



Jetzt trage ich das Herz in der Hand und weiß nicht wohin mit soviel Bedrängnis, die Beine wollen mir nicht gehorchen, es scheint, als hätte ich das Laufen verlernt, aber ich gehe weiter selbst wenn ich schon nicht mehr weiß, wo ich bin, nicht mehr weiß, ob ich von hier bin, ob ich hierher gehören kann, denn auf einmal wollte ich sein, wo niemand uns kennt, ich stoße die Gedanken von mir und das Tor, das im Kies ächzt, bekreuzige mich vor ich weiß nicht welchem Gott und warum, wende mich der Parzelle zu, die sie uns zugeteilt haben, an der Rückseite des Komplexes, hin zu den wilden Zypressen und Pinien wo das offene Feld beginnt, gib mir die Kraft um jetzt den Kopf zu erheben, wenigstens ist der Totengräber ein entfernter Cousin, aus Trás-os-Montes, der aus dem Dorf gejagt wurde weil er seine Frau und seine Schwiegermutter abgeknallt hat, welche Demütigung für die Verstorbenen, schmutziger als die Hände meines Sohnes, aber in der Umgebung weiß niemand von der Geschichte, begraben zu werden von jemandem, der einmal vor dem Altar die ewige Liebe schwor und seiner Frau dann eine Kugel verpasst hat, aber ich werde den Mund nicht aufmachen, niemand macht ihn auf, weder Schreien noch Weinen nur Totenstille und Vögel die sich kaum unterscheiden lassen in der Luft wenn sie diesen blassen Himmel durchkreuzen, beerdigt ohne Recht auf einen Grabstein, der Erlass kam von der Gemeinde, die Gräber müssen anonym bleiben, weder etwas Persönliches noch der Todestag, wenn sie ihn in aller Heimlichkeit begraben lassen dann weil etwas nicht stimmt an dieser Geschichte, weil sie meinen Sohn fürchten, sie wollen ihn in Anonymität halten weil sie wissen dass die Gefahr nicht von einer blutrünstigen Bande aus der arabischen Welt sondern von jenen kommt, die sind wie Georges, die hier zur Welt kamen und die hier gediehen sind, auf dieser Erde die ihn lebendig verschluckt hat um ihn jetzt tot zu verschlingen, ohne dass irgendjemand ein Wort sagen würde, sich auch nur traute irgendetwas zu sagen, die Imame sind aus dem Viertel geflohen wie die Ratten vorm Feuer, sie beeilen sich den Zeitschriften zu sagen dass der echte Islam keine Unschuldigen opfert, dass der andere falsch sei … jeder einzelne steigt in das Katz-und-Maus-Spiel ein, in der Mausefalle die uns aufgestellt wurde hat weder der IS noch die nationale Einigkeit die Macht mich von meinem Sohn zu trennen, ob sie ihn nun als Märtyrer oder Wahnsinnigen darstellen, als Inbegriff des Heldentums oder des Kampfes der Kulturen, diese Lügen kann ich aufdecken, selbst von Schande und Unglück überzogen, von der Wahrheit mit der er beladen war muss ich zu reden wissen, ich löse mich in Tränen auf als sie den Körper in die Grube rollen, jetzt werfen sie die erste Schaufel Erde, mit einem rauen, trockenen Ton den ich nicht vergessen werde fällt sie auf das Leichentuch, ich versuche mich zu überzeugen dass es nun gut ist, dass es vorbei ist, aber ich weiß dass der Krieg jetzt in mir keimt, macht euch nicht vor dass er im Namen des Islam getötet hat, aber im Namen des Hasses,
hat er die Verse gestottert,
des Hasses und der Ungerechtigkeit
hat er über Ostern dem Alkohol entsagt,
des Hasses und der Ungerechtigkeit und der moralischen Verwüstung in der er aufwuchs, dieses waren die Zutaten, die ihn allmählich radikalisiert haben, einen Terroristen erzeugt man nicht über Nacht, vor langer Zeit hat man ihn dazu gebracht, gerade mal vor sechs Monaten begann er mit dem Fasten, hätte man ihn nach einem Vers von Hâdith gefragt hätte er gezögert, wäre gestolpert in den Versen, ich gebe zu, dass er den Dschihad vielleicht als Lösung für diese Sackgasse sehen wollte, für dieses ständige Wegschauen, dieses Loch ohne Boden oder Licht, ich werde nicht das Gegenteil behaupten, aber die Ungerechtigkeit und die Leere die hat er schon gefühlt bevor er anfing die Moschee des Viertels zu besuchen, nein, ich will nichts relativieren, ich will verstehen, wer am Boden ist muss verstehen, das ist alles, ich weiß dass mein Sohn eine barbarische Tat begangen hat, aber ich kann nicht zulassen dass sie ihn mit den Herren des IS vergleichen, die allein vom Durst nach Macht und nach Unterdrückung leben, von nichts anderem, deren Herkunft nicht der Hass ist, der gelebte Hass, die nicht betrogen wurden wie es der Westen allein mit den Seinen vollbringt, Kriegsbürokraten die die Wut unserer Kinder und Jugendlichen zu nutzen wussten an Stelle unserer Ohnmacht, wenn ich mir die Kinder vom Zentrum anschaue in der Gewalt dieser
Verbrecher … wenn ich sie vergiften könnte alle … letzten Endes, wenn der Terror weitergeht, retten sich die gleichen wie immer, die die im Fernsehen globale Einigkeit gegen den Terrorismus predigen, ein Terrorist wird nicht allein von einer Mutter geboren, es braucht viele Bastardväter. Ich knie nieder und küsse den Grabstein, kalt ist er, ohne deinen Namen, den ich mit dem Daumen in den Reif zeichne, der den Granit bedeckt, mit nichts weiter als einem Gerberazweig darauf, gehe du in Frieden, los, gib mir Kraft, wenn ich erzählen würde, wie oft ich sterben wollte vergangene Nacht, diesen Ort verlassen, ich begegne den Jugendlichen vom Jugendzentrum am Eingang des Friedhofs, sie kommen ihr Beileid auszusprechen, instinktiv freue ich mich und lächle, doch dann überkommt mich der verzweifelte Gedanke: Wem von ihnen wird man folgen, wer wird sich diese Kinder erneut zu Nutze machen um den Terror zu verbreiten? Gib mir Kraft, vorwärts, nicht zurück schauen, nach vorne sehen, als sie mich riefen um deinen Körper zu identifizieren, wollte ich es nicht glauben, es konnte nicht sein, mein Magen hatte sich schon umgedreht kaum dass ich das Leichenschauhaus betrat als mich drei Männer zu einem Raum geleiteten, mir ein heißes Getränk anboten und begannen Fragen zu stellen, die ich beantwortete nur um zu antworten, ohne nachzudenken, ich dachte es wären Formalitäten, ein dunkler Raum mit drei Stühlen und einem Tisch um irgendwelche Papiere zu unterschreiben, bis die dritte oder vierte Frage ohne Reaktion blieb, ohne zu verstehen was vor sich ging, und plötzlich begriff ich dass das Polizisten waren die mich überrumpeln wollten in dem Moment in dem mein Herz wie verrückt schlug, meine Brust durchbohrte, weil es dort, im Leichenschauhaus nicht mehr möglich ist, zu glauben, keine einzige Hoffnung bleibt, schon kein Gedanke ist mehr möglich der einem die Wirklichkeit nimmt, dort ist alles schon Wahrheit
Sicherheitsvorschriften
bitte, nachher, noch habe ich meinen Sohn nicht gesehen
Zur Tatzeit der Attentate, wo waren Sie da?
Sie haben mich gerufen um ihn
Wir fühlen mit Ihnen, aber wir befinden uns im Ausnahmezustand,
wir bitten um Ihr

Hören Sie auf mit dieser Qual,
Verständnis
Ich will meinen Sohn sehen,
ein Ziehen im Magen und ich fühlte das Erbrechen führte die Hände zum Bauch, und erst jetzt ließen sie ab und veranlassten, mich zum Leichenschauhaus zu bringen, nicht ohne zuvor mein Handy durchforstet zu haben,
der lange Flur, unheimlich lang, hören Sie auf damit
am Ende
dicht an den Wänden lief ich, die Hände auf dem Bauch um die Stiche im Magen zu unterdrücken
zu ihrer Rechten
die gefrorene und metallene Kälte des Kühlhauses verursachte mir Schüttelfrost und als ich ihn sah, stieß ich einen Schrei aus, er war es und er schien nicht tot, denn er sah mich wahrhaftig an, mit der Wahrheit des Hasses, an einem Fuß ein Schuh, der andere entblößt und der Körper durchlöchert mit Kugeln, sie haben ihn mir genommen, warum bist du gegangen? Warum bist du nicht hier wenn ich dich doch geliebt habe? Was habe ich falsch gemacht? Das kann nicht sein, ich glaube es nicht, erinnerst du dich? Als du ins Jugendzentrum gegangen bist, den G-Punkt wie du immer sagtest, dir die Zeit vertrieben hast mit Hip Hop und damit den Jüngeren den Beat und den Reim beizubringen, und ich rief dich zum Essen unzählige Male, die Nase voll davon, zu warten und davon, mich zu ärgern wegen einer solchen Kleinigkeit, und eines Tages dachte ich, dass es das war, was du gerne machen würdest, das, was dich motivieren könnte und ich ging und brachte dir das Abendessen, schon auf der Straße hörte man einen Wahnsinnskrach, ich betrat und verließ das Zentrum auf Zehenspitzen obwohl das Klatschen, die Beats und die Pfiffe deiner Freunde mich beinahe zum Lachen gebracht hätten und dich dazu, rot zu werden, und als ich zurück nach Hause ging, auf der Hälfte des Weges, fühlte ich deine Schritte hinter mir, und zusammen sind wir den Hang hinaufgegangen, schweigend, ein Schweigen von dem ich dachte dass es ganz war, aber es fehlte etwas darin … Was hat gefehlt? Was habe ich falsch gemacht? Warum bist du nicht wieder mit mir den Hang hinaufgegangen, mir die Hand ausstreckend wie an jenem lauwarmen Nachmittag? Warum hast du mit unserem Leben Schluss gemacht? Warum? Ich laufe, und die Straße scheint heute riesig,
ich laufe, ohne die Beine zu fühlen, um diese Zeit gibt es schon wenig Autos und die Laternen gehen an und bedecken die Dinge mit Licht, um mich herum fühle ich, dass alle mit dem Finger auf mich zeigen, selbst wenn ich nicht den Mut habe den Kopf zu heben, mich zu Hause zu verstecken für immer, die Nachbarn gucken mich schon nicht mehr an, der Regen prasselt spielend auf den Dächern, das ist es, es wird noch mehr regnen
sie haben Frankreichfahnen in die Fenster gehangen,
genau, es ist besser, sich zu beeilen wegen des Regens
des Front National
besser, die Straßenseite zu wechseln, deswegen, der Regen, die Laternen die angehen, in der Nacht,
ich bin schon in meiner Straße als ich Beschimpfungen höre hinter mir
Schlampe
ich drücke mich um die Feuchtigkeit, verdrehe mich vor Kälte fröstelnd, versenke den Hals im Mantelkragen, wie kann ich mich befreien von diesem Alptraum, morgen
Drecksau
noch ein Auto kommt vorbei und mit ihm eine Bande verschreckter Spatzen, morgen, später, übermorgen
du stehst auf der Liste
endlich erblicke ich unser Haus, dass mir heute trauriger erscheint, gedrungener, portugiesisch, ich springe die Treppen hinauf und, welche Erleichterung, betrete die Wohnung und sehe Licht im Wohnzimmer,
es ist Youssef
ich verliere die Fassung und breche in Tränen aus,
- Warum bist du nicht deinen Bruder verabschieden gekommen? Was hat er dir getan? Und ich … was habe ich dir getan, womit habe ich deine Undankbarkeit verdient?
- Ich habe einen Tee gemacht … er ist noch warm …
- Wozu bist du gekommen? Um mir Tee einzuschenken? … ich weiß, das Leben von Leuten wie uns zu nehmen, kennt keine Vergebung, aber sie sollen nicht erzählen, dass wir alle unschuldig sind. Es ist Zeit, den Tatsachen ins Gesicht zu sehen.
- Man muss den Terrorismus stoppen, Mutter.
- Wovon redest du? Von welchem Terror redest du?
- Wir werden nicht mehr sicher leben von jetzt an.
- Gestern war ich nicht weniger sicher als heute und das war nicht wegen deines Bruders.
- Wir werden unsere Freiheit verlieren, wir werden nicht mehr auf die Straße gehen können. Die Stadt ist menschenleer.
- Seit wann soll diese Stadt lebendig sein? Die Straßen waren doch seit Jahren leer und dann besetzt von Touristen. Dieses Jahr haben sie veranlasst, die Bänke vom Platz zu reißen, damit sich keiner versammelt, damit uns nichts gehört, nicht mal eine einfache Unterhaltung am frühen Abend … und von welcher Freiheit redest du? Was hast du getan um sie zu gewinnen? Nichts … Was hat deine Generation anderes getan als sie zu verlieren?
- Mach die Augen auf, Mutter. Du bist viel zu aufgebracht, um auf den Boden der Tatsachen zu landen. Die Stadt ist leer, wie ist das möglich, im Zentrum Europas, im 21. Jahrhundert …? Wie kann dich das nicht beunruhigen?
- Keine Sorge dass die, die im Fernsehen kommen, auch noch irgendeine Kreativwirtschaft subventionieren werden, die den Terrorismus ertragreich macht als touristische Attraktion. Bis jetzt sind es nur deine Kumpanen von den Medien, die ins Viertel eingefallen sind, morgen beginnen die Führungen ins Resort des heiligen Krieges in unserem Viertel … außerdem haben selbst die Japaner die Crêpes mit Bordeaux und den Eiffelturm im Grunde längst satt …
- Wenigstens hast du deinen Humor nicht verloren … es ist nur schade, dass du den Ernst der Lage nicht sehen willst. Ich sage dir, sie werden am Ende noch alles erobern.
- Was erobern? Sie kommen zu spät. China und die Inhaber von Angola haben schon gekauft, was es zu kaufen gab und der Rest ist Nebensache.
- Du gehst ein bisschen weit, nur um das Thema zu wechseln. Du weißt auch, dass sie die U-Bahn geschlossen haben und die Schulen. Auf der Straße begegnen sich die Leute mit Misstrauen … Um hierherzukommen musste ich zwei Checkpoints passieren. Glaubst du das? Es ist schwer sich vorzustellen, dass das unser Alltag sein wird.
- Ich weiß, ich weiß es nur zu gut, ja, und ist es nicht verrückt, ist es nicht verrückt, dass unser Leben, unseres, das von uns allen, schon gestern unter Quarantäne zu stehen schien. Aber eine interaktive Quarantäne, smartcity!
- Du übertreibst ...
- Das ist die bloße Wahrheit, da kann man nicht übertreiben, du wirst schon sehen, es wird nicht viel brauchen, damit alles zur Normalität zurückkehrt, wir müssen dafür sorgen dass die Dienstleister weiter im Geschäft bleiben, die Einkäufe müssen laufen. Glaube nicht, dass es lange dauert: Fröhlich pfeifend wirst du die Checkpoints passieren und frohen Sinnes die Weihnachtseinkäufe machen. Das ist das Modell des dolce vita, das uns erwartet. Le jour de gloire est arrivé!
- Ja, vielleicht hast du recht. Soviel Panikmache ist unter Umständen ein falscher Schritt, zeigt dass wir uns der Angst ergeben. - Du bist wie ein Papagei … der Angst ergeben … welcher Angst? Welche Angst, was für ein Quatsch! Frag die Flüchtlinge, die sie in der Turnhalle eingesperrt haben nach ihrer Angst. Nicht der Angst ergeben sich die Leute sondern dem Rassismus.
- Damit kannst du dich immer noch der Antifa anschließen …! Wirst du zu deinen Pamphleten zurückkehren? Ich dachte du hättest die Illusionen deiner Jugend hinter dir gelassen.
- Lieber mache ich mir Illusionen, als andere zu betrügen ...
- Wann hast du deinen Auftritt? Sie haben alle Aufführungen verschoben …
- Ich weiß nicht. Ich weiß nicht, ob ich zurück auf die Bühne gehen will, ob ich Kraft dafür habe … und du … wann machst du mit deiner Darbietung weiter?
- Du willst mich nur angreifen, oder? Willst meinen Bruder entschuldigen, ist es das, Mutter?
- Versuch mich nicht auf eine Seite zu stellen, diese Strategie von den Guten gegen die Bösen, die du im vorgekauten Brei deiner Artikel verwendest, funktioniert nicht mit mir. Das Blut, das dein Bruder vergossen hat, spricht dich nicht von deiner Schuld frei. Weder dich noch mich aber ich schreibe nicht in den Zeitungen … ja, Youssef, Leute wie uns zu töten ist barbarisch, aber es ist Zeit zu verstehen, dass niemand von uns sterben sollte damit wir begreifen, dass wir nicht unschuldig sind. Alle verurteilen ihn und niemand, niemand verteidigt ihn … was dich betrifft, Youssef … du weißt, was es heißt, terrorisiert zu werden, du weißt, was das ist der Terror, du weißt immer alles, du nimmst den Mund voll mit der einzigen Religion, die niemand bestreitet in dieser Gesellschaft, die einzige absolute Wahrheit in dieser allgegenwärtigen Lügengeschichte, die einzige niemals nachgeprüfte … abgesehen davon, ist er tot und du hast dein Leben, du bist unter uns.
- Du bist ungerecht ...
- Ungerecht ist es zu glauben, dass die Liebe nicht ausreicht.
- Ich kann nicht glauben was du sagst … sogar in diesem schrecklichen Moment … es gibt Dinge die sich nicht ändern ... Du warst immer auf seiner Seite!
- Und was hat es genützt? Hat es vielleicht ausgereicht? Nein, nein … es hat nicht gereicht, um zu verhindern, dass sein Leben genommen wurde. Was ich bereue, ist nichts getan zu haben, damit dein Bruder, den Hass den er fühlte, verstanden hätte … als sie anfingen Autos anzuzünden haben wir sie bevormundet, dass sie Jugendliche ohne Werte wären, geschmollt und die Schnauze gehalten haben wir als wir diesen Lump im Fernsehen sagen hörten, dass die Viertel vom Abschaum gesäubert werden sollten, wir haben geschluckt, was sie uns vorgesetzt haben, dass diese Jugendlichen der Vororte zwangsläufig das Böse schlechthin seien, obwohl ihre Verzweiflung in Wirklichkeit die Form ist, die sie gefunden haben, das Böse, das überall ist, zu bekämpfen, das Böse, das sich versteckt und dessen Gesicht man niemals sieht. Abschaum oder Kinder der Nation. Je nachdem. Die einen bestehen darauf, leben zu wollen, die anderen schweigen und essen. Tief im Inneren hatten wir Angst zu sehen, dass der Aufstand unserer Kinder guten Grund hatte, dass der Hass keine Perversion ist, selbst wenn er für sie nutzlos war … und dieser arme Teufel, der Belgier, der sich umsonst in die Luft gejagt hat, der muss jetzt das Ziel des Spotts dieser Hunde sein ... Nicht umsonst, er dient dem Konsens der Politiker an der Macht. Was ich bereue, ist, nichts mit dem Hass angefangen zu haben, ihm keinen anderen Sinn gegeben zu haben …
- Welchen anderen Sinn? … du musst scherzen Mutter.
- … das was dein Bruder gemacht hat, ist Terrorismus, nur finde ich keine Worte für das, was diese Gesellschaft macht. Und es waren nicht Georges und zwei Hanseln, nein, es waren ganze Viertel, die da brannten.
- Ein Haufen Verlierer!
- Du hast nicht das Recht so zu sprechen. Wir haben nicht das geringste unternommen, nichts. War es notwendig, dass dein Bruder stirbt, um zu fühlen wie sich die Kehle zuschnürt, ein bitterer Geschmack, der mich plötzlich befällt, um mich erdrückt zu fühlen von all diesen Jahren, die wir die Erniedrigungen akzeptiert haben, um noch ein bisschen unserer Würde abzugeben, die Zweifel beiseite geschoben … nur ein Mal und alles auf einmal, um mich zu überzeugen, dass uns nur noch eines bleibt, die Niederlage all der Illusionen zu akzeptieren, dass uns nur noch bleibt, diesen Stand der Dinge sklavisch zu akzeptieren ...
- In welcher Welt lebst du Mutter? Dein Realitätsverlust erschüttert mich. Bitte, Mutter... Die Zeiten haben sich geändert ... die Welt hat sich entwickelt.
- Vielleicht für deine Seite ... und jetzt fangen wir an zu begreifen, zu welchem Preis.
- Verstehe ich nicht.
- Verstehst du nicht? Was genau … verstehst du nicht! Schau dich doch an. Anstelle zu kommen um zu trauern, kommst du, um klarzustellen, dass du gewonnen hast. Siegen ist deine Privatideologie, dein Dschihad … Ich würde gern wissen, welches dein Preis sein wird. Wie glaubst du, hast du es dahin gebracht, wo du bist? Du zwingt mich zu sagen, was ich nicht sagen will … dass du dein Schreiben dem politisch korrekten Standard anbiederst, das du dich anpasst, um die größte Rendite herauszuschlagen, wie viel Kollegen musstest du mit den Füßen treten oder anschwärzen? bist den Ködern hinterher, die sie für dich ausgeworfen haben … so, so hast du gelernt, dir deinen Weg zu bahnen mit falscher Zunge. Ich erkenne schon nicht mehr, was du schreibst, kann deine Artikel schon nicht mehr unterscheiden von denen aus anderen Zeitungen, Banalität auf Banalität, wie im Público wo sie schon Artikel rausbringen, mit dem dreckigen Titel – “Einer der Terroristen vom Massaker im Bataclan hat eine portugiesische Mutter”* was interessiert euch meine Heimat? Wo soll das hinführen? War ich es, die den Terrorismus geboren hat?
- Mutter, woher kommt diese ganze Wut?
- So ein Unsinn das Interview, das du mit dem Sänger der Band gemacht hast, “Meine Jacke rettete ein Kind”, wie schön! welch’ Heldentum, was für ein bombastischer Titel! Die werden dich noch einladen, dass du ein Start-up eröffnest, um Jacken zu produzieren, die uns vorm Terrorismus retten, Rettungsjacken, Bataclan forever!
- Ich sehe schon, ich kann gar nichts sagen … während du jammerst und schlechte Scherze machst, fallen sie hier ein.
- Einfallen? Wie? Was für ein Schwachsinn ist das? Ihr wurdet aufgezogen im selben Zimmer, du hast richtig gehört! im selben Zimmer …
- Du brauchst nicht so zu schreien.
- Ich schreie, ich schreie, warum? Darf ich nicht schreien? Hm? … Du hast all die Nächte in Sicherheit geschlafen, hörst du? Hast du gehört? Wie kannst du es wagen … einfallen … als sie gekommen sind, um Fußballstadien zu bauen und universelle Ausstellungen, damals, sagtest du, dass die Maghrebiner und die Pakistaner die Wettbewerbsfähigkeit ankurbeln würden, dass es ihr Verdienst wäre, die Bande von faulen Franzosen, die nicht arbeiten wollen, dazu zu bewegen,
- und die den Tag damit rumbringen, Gras zu rauchen
- Was ist schlimm daran, einen Joint zu rauchen, verglichen mit dem Cocktail von Tranquilizern und Aufputschmitteln, die du brauchst, um dich auf den Beinen zu halten? Lass die Pharmaindustrie sich um deine Gesundheit kümmern.
- Ich begreife nicht, wie du dich nicht bedroht fühlen kannst.
- Warum? … Sag nicht, dass sie dir die Beleidigungen ersparen? Vielleicht weil du keinen Fuß hierher setzt. Meine einzige wirkliche Bedrohung sind diese Beschimpfungen. Mach dir keinen Kopf, damit werde ich schon klarkommen. Sie nennen mich Schlampe, weil sie nicht so schön reden können, wie du es in den Zeitungen tust. Das sind deine Dschihadisten, die brauchen keine CIA hinter sich. Ich habe es dir doch gesagt oder dachtest du, ich erzähle Märchen, als ich meinte, wir müssten den Tatsachen ins Gesicht sehen?
- Apropos ... was hat Amalia?
- Sie frisst nicht mehr seit dein Bruder gestorben ist.
- Was wirst du tun?
- Ich weiß nicht. Vielleicht wird sie Terroristin ...


* Wörtlicher Titel eines Artikels, der am 19.11.2015 in der Zeitung Público erschien und mit Claúdia Lima Carvalho unterzeichnet war.