URRO*

urro

Ilustração: Frank Diersch

Übersetzung: Pedro Costa, Camilla Elle

Und du weißt dass es dein Los ist bei Ikea zu landen, Stühle und Sessel zu verkaufen made in China mit schwedischem Design, jetzt wo die Ergonomie des modernen Zeitgeistes alle Grenzen abgeschafft hat und du dich um diese Throne ohne Gott oder Luzifer kümmerst auf die wir uns alle setzen, jetzt wachst du auf halb verkatert aber bester Laune siehst dein Leben vor dir, total froh dass der Tag beginnt, als ob du dir selbst fremd wärst angesichts des Zufalls und des Luftdrucks, ohne dass dich die Wetterlage empören könnte, wieso sollten dich die neoliberalen Wetterfrösche die von den Titelseiten gespuckt werden etwas angehen, die Blase deiner Privatsphäre ist ein Ventil um Druckluft abzulassen, noch unschuldiger als die Fernsehnachrichten, poetischer als die Erklärungen der Oppositionsparteien, phantasievoller als die Fabeln von kleinen Kindern, die zum Frühstück von roten Socken verspeist werden, nur dann und wann empörst du dich über den Pudel deiner Nachbarin von unten drunter, wenn du aus dem Haus kommst wo du ein Zimmer mietest (oder ist es ein Loft?), videoüberwacht vom schwarzen Loch deiner Ideologie, aber dein Hass auf Pudel und Wachhunde ist von kurzer Dauer und verschwindet wohlklingend im Rhythmus mit dem die S-Bahn unbeschadet den großen Ring deines inneren Zynismus umrundet und so vergisst du unaufhörlich die gezeichnete Linie deines Schicksals, vergisst dass die Linie deines Schicksals auf deinem Gesicht Spuren deiner Verzweiflung hinterlässt, deines falschen Wohlbefindens, weil du keinen Weg aus der Verzweiflung findest, dieser Karte deines geistigen Erbes, ein Abgrund von Neutralität und Resignation, Friede sei mit dem schwarzen Loch deiner Ideologie,
Friede sei mit deinen hygienisierten
fettabgesaugten
vakuumverpackten Gehirnzellen
und ungerührt gehst du weiter in deine Büroblase, das allmorgendliche Züchtigungsritual dieser Welt,
ziehst deine digitale Karte durch das Magnetband einer Plastiktür, hörst ein elektronisches Klacken, technology is everywhere und, Abrakadabra, gedimmtes Licht im Eingangsbereich, du lächelst in die Überwachungskameras, schlitterst über den nichtssagenden Teppich der nach Kaugummi riecht, rufst den Fahrstuhl und, in der Warteschleife tust du so, als ob du die Musik mit Möwengeräuschen nicht hörst, tust so, als ob du nicht in einem verdammt realistischen Film von Tati gelandet wärst, und überquerst einen weiteren sterilen Flur, Rolltreppen rauf und runter, und noch mehr Endlosflure damit du jene große Universalordnung der kleinen Soldaten und Soldatinnen zu respektieren lernst, die wie Avon-Vertreter daherkommen, schön aufrecht hinter ihren Tischen sitzend, kleine Soldaten und Soldatinnen wie einem Studio für Teleshopping entsprungen, oder einem Wachsmuseum, wo die Wunderwirkung des Jojobaöls angepriesen wird, das Geheimnis für die Ausrottung der Zellulitis in der Welt, das letzte wissenschaftlich erwiesene Wunder, im gleichen Moment blinzeln sie dir synchron zu, wie im Zentralkomitee, es lebe die Einstimmigkeit!, du versuchst dich zu überzeugen, dass es heute keine Ideale mehr gibt, dass du in einer Epoche ohne globale Lösungen lebst, weder Dämmerung noch Morgen, keine ideologischen Hürden oder Klassenunterschiede, deine größte Hürde ist der Verkehr auf der Stadtautobahn, es gibt keine Grenzen und die Berliner Mauer ist gefallen und wir sind alle gleich, und die Schwarzen, die an Land gespült werden sind gar keine Schwarzen sondern Shrimps, wir sind alle gleich, und was dir gefällt, ist ein ordentlicher Shrimps-Cocktail mit Mayonnaise vom Lidl, da wir produzieren, sind wir doch alle Arbeiter, die Kohle muss ja am Ende des Monats reinkommen, oder?, denn das Leben und unsere Freizeit sind bloß eine Art Geld zu machen, wie jede andere auch, und der Rest interessiert dich nicht die Bohne, und in deiner halben Stunde Mittagspause stopfst du dir die Bohnen und den norwegischen Lachs mit Purpur-Farbstoffen aus Burkina Faso rein, und alle gehen wir zu Ikea, diese Wohlfahrtseinrichtung die uns aufnimmt, uns umschmeichelt, uns einen Trainingsanzug verpasst, damit wir den Playground-Proletarier spielen und so schlägst du dem Hunger ein Schnippchen und musst nicht diesen faulen Frieden stören, mecker nicht, sind die Bohnen nicht ganz durch?, schmeckt der Lachs nach Käsefüßen?, beschwer dich nicht, du könntest deine Stelle verlieren, mach den Mund nicht auf sonst fällt dir noch die Bohne heraus und du wirst dein geliebtes Sklavendasein los, na komm doch her und ich gebe dir etwas zum Nachtisch, Sushi und Sojabohnen stecke ich dir "smart" von hinten rein bis du eine makrobiotische Erektion bekommst, alles ganz sanft, eins nach dem anderen, denn für einen Gourmet-Tripper gibt es immer ein Plätzchen,
Trüffel willst du gegen den Hunger
Trüfflein Trüfflein
während von neun bis fünf dein Leben vertrüffelt wird von dieser großen Universalordnung, Herz Seele Mund, alles im Namen der Kunst, oder glaubst du, die große Universalordnung verschaukelt dich die ganze Zeit,
Supermarktketten, Shoppingcenter-Ketten, Ketten von Kommunikationsunternehmen, Ketten vom Staat und von globalen Playern, Ketten von Ketten, saugen dir das Mark aus den Knochen und das Beste aus deinem Leben und wofür? Der post-materialistischen Kunst wegen oder hast du schon vergessen dass es ein ideologisches schwarzes Loch gibt, einen Abgrund der Ideale? Würdest du dich je auf den Arm nehmen lassen wenn dein Chef und deine Regierung nicht solche Meister der Kunst wären? Würdest du dich je von den fermentierten Produkten der Kulturbrauerei, von umgedrehten Malzkloschüsseln verarschen lassen? immer mit der Ruhe, dir kann keiner was erzählen, immer mit der Ruhe denn Kultur ist nicht die Sozialdemokratie der Einbildungskraft, nichts dergleichen!
damals,
in diesen uralten Zeiten des Mai 68,
fickte man anal für den Tod des Kapitals, jetzt geht’s an die Würde, die Mutterschaft wird zur Bürde, eine Wortspielerei, nicht wahr?, aber schau nicht zurück, denn in diesem selben Moment kannst du das Opfer einer Geburtenkontrolle werden, wurdest du überhaupt schon geworfen?, oder hast du schon aus voller Lunge geschrien?, lass nur, denn nächste Woche rufen sie dich aus dem vor-existenziellen Callcenter an, du machst ein paar psychometrische Tests und zwei Wochen später weißt du Bescheid, dass es jetzt noch verfrüht ist, aber die postmoderne Danone-Zeitschrift, die musst du abonnieren, damit du weißt was Sache ist in der Industrie zur Pasteurisation der Herden, denn jetzt geht's darum, wer der größte Hüter der Joghurtkulturen1 ist, ein weiteres Pseudonym des Internationalen WährungsFranchising,
aber das ist ja genau dein Ding, Unterschrift drunter und fast forward, welch schöner digitaler Abonnent aus dem Kreise der Herde, komm schon,
setz deine Unterschrift unter die neueste Avaaz-Kampagne, die Zeit ist gekommen, jetzt kommt es auf dich an, die ganze Welt hängt von der Leistungsfähigkeit deines Zeigefingers ab, der Hunger im Sudan, der Frieden in der Ukraine, der Krieg in Syrien, alle warten gespannt auf deine Geste, auf deinen Zeigefinger, nur deinen, bahnbrechender als die Opposition des Daumens in der Evolution, nun los, hau schon in die Tasten, tipp es ein, oder du hast ein schlechtes Gewissen bis zum nächsten forward, na los, hör nicht auf, zeig's ihnen bei Avaaz,
bei Greenpeace
den Grünen
der Piratenpartei
bei den Probiotika
der Ernährungswissenschaft,
beim Body-Pump, alle wichsen im Fitnessstudio rum, eine Art Endlosständer, non-stop
rauf und runter, hör nicht auf
wie die Börsenbroker, wie die Dollar-Schwankungen und die Erdölpreise, eine Art ständiger Orgasmus vom Fließband, das kostet nichts, für Männlein und Weiblein, Egosex ist voll im Rennen, keine Schokolade mehr mit Metaphysik-Raspeln, ist 'n Schnäppchen, so billig dass es weder Lust noch Laune macht und dennoch
kommt der abgeleckteste der Ärsche aufgeblasen daher und erdreistet sich zu fragen: Na, und du Orgasmus, bist du auch schon rechts?,
geh mir nicht auf die Nerven, stör nicht diesen faulen Frieden,
du wolltest doch eine Stelle, willst doch arbeiten, oder?
deine große Ideologie ist das Prekariat, was wärst du arm dran ohne Arbeit, siehst du nicht dass der Stempel den du dir aufdrückst der Widerspruch des Systems ist?, ein Schuss ins eigene Bein der die Lohnarbeit legitimiert?, darauf zu pochen prekär zu sein bedeutet nur dass du dein Recht ausüben willst ausgebeutet zu werden,
aber mit Stabilität, klar, keine Sorge, die Europäische Kommission wird sich schon kümmern um dich und deine Rechte als Arbeitnehmer,
aber mit Konsumerlaubnis, wohlgemerkt, mach dir keinen Kopf, der Arbeitgeber sorgt für dich, fertig von der Schicht darfst du direkt ins Shoppingcenter um dich zu amüsieren und wenn dir das zu blöd ist gibt es Yoga und Hare Krishna und Curry-Samosa-Workshops, das ist doch was für jemanden der so fortschrittlich ist wie du,
und so forderst du deinen Anteil ein, am Tisch der Menschenfresser, denn auch du verdienst es gefressen und verschlungen zu werden und in Wahrheit willst du nicht sehen dass du um deine Arbeitskraft zu verkaufen,
zuerst
ununterbrochen
überall
im Workshop
in der Bar
am Elternabend
beim Familienessen
deine Freizeit verkaufen musst in Management-Aktien, in Wohltätigkeit für dein Kapital,
aber umsonst, klar,
für umme, kein Ding Mann,
ehrenamtlich, was sonst, du bist eben ein korrekter Typ,
du bist multitasking, ein Wunderknabe, jemand nannte das mal Biomacht,
du ganz allein, mit deinen in Rating-Agenturen unvergleichlich wachsenden Beschäftigungschancen,
schaffst in einem Anlauf den Quantensprung über die Krise Portugals und Griechenlands hinweg, nehmt das!,
dein Traum ist es die perfekte Synthese aus Arbeiter und Kapitalist zu werden, von Niederlage zu Niederlage bis zur endgültigen Mobilisierung!, du schaffst es, du hast das Zeug dafür, die Leistungsgesellschaft hat ihre Vorzüge, verdammt, du hast Werte, die anderen wollen doch gar nicht arbeiten, diese Faulenzer, Penner, leben auf Kosten der Anderen, du weißt, wovon du sprichst, dein kosmisches Bewusstsein ist allumfassender als eine Vollversammlung der UNO, jawoll!, die Arbeit ist total schön, oder?, du hast nicht einmal mitbekommen dass die Ideologie des Proletariats seit langer Zeit tot und begraben ist, am fatalen Walzer zwischen Kapitalismus und Marxismus ist sie verreckt, du hättest gern eine geregelte Fabrikruhe im Callcenter, eine würdige Arbeit, erbaulich, du willst Vollzeit ausgebeutet werden und denkst dir bei deinem Sternzeichen und dem chinesischen Tierkreis: dieser Typ ist doch ein Reaktionär, will mich kirre machen, Utopien?, vergiss deine Metaphern und dein Politikgequatsche, Mann,
nerv mich nicht, schon gut, ich lass dich in Ruhe,
ist nur 'ne kleine Verstimmung, ich hab's mit der Gallenblase, mit den Nierensteinen, sonst nichts, ich beruhige mich, reich mir ein Glas Zuckerwasser, habe schon zu viel geredet, ich sage dir nicht, dass du dein Auskommen immer noch mit der Solidität der nationalen Volkswirtschaft verwechselst, ok, ich glaube an den homöopathischen Ansatz und mal ehrlich, du brauchst keinen Finanzminister, selbst wenn er ein Radikaler ist weil (irgendwann musste die ZEIT ja mal ins Schwarze treffen) er keine Krawatte trägt, lass nur, er wird sich schon um alles kümmern, er kennt die Cambridge-Wirtschaft, wird deine Währung stabilisieren, wird dir beibringen Statistiken mühelos zu durchblicken, kein Grund zur Unruhe, denn er wird nächtelang kein Auge zumachen damit die Bilanzen, der Haushalt und die Darlehen der Weltbank stimmen, genau, mit dem Geld das er bei den Krawatten spart wird er ein Exklusivprogramm entwerfen um deinen Träumen den Garaus zumachen, komm schon, verlange nach Politikern, die reiner, ehrlicher und korruptionsfrei sind, damit sie uns so transparenter und mit mehr Legitimität ausrauben, klar, dass deine liberal-linken Ansichten so lange währen wie eine Schlagzeile der taz und die griechischen Schuldentitel werden schon noch deine Hoffnungen retten und Obama und Fidel werden sich noch auf den Mund küssen, aber jetzt live! jawoll, es lebe der kubanische Dollar! ... Wall Street Wall Street!!! ... aber, aber hattest du nicht gesagt, es gäbe keine Mauern mehr? schon gut, schon gut, ich lass dich in Ruhe und gehe an die Börse investieren,
die objektiven Rahmenbedingungen sind noch nicht ganz reif, findest du nicht auch?, vielleicht nächstes Jahr,
wer weiß, kann ja sein, dass diese 3D-Maschinen Revolutionen drucken und wenn dir die offizielle Version nicht passt, lass die Hacker sich drum kümmern, We Share We Share … die Techno-Wissenschaft findet für alles eine Lösung, wenn es so weitergeht, hast du nächste Woche multiple Orgasmen während du mit Osho twitterst, jemand wird sich für dich um alles kümmern, nicht wahr?, um deine Demokratie, deine Prinzipien, deine Schulden (vor allem um deine Schulden), deine Träume ... oder ist träumen in deinem liberalen aber linken Wortschatz inzwischen politisch unkorrekt?, steht ja nicht im Grundgesetz, oder?, ist old fashion?

und während ich dich um Erlaubnis zum träumen bitten muss, brauchst du dir keine Sorgen machen denn das System das sich mit Zinsen um deine zivilisatorische Depression und deine globale Niedergeschlagenheit kümmern wird, ist nicht dasselbe, das dich völlig allein gelassen hat in deiner bionischen, nano-existenziellen Einsamkeit (und dann bin ich der Romantiker unter uns, was?), du ganz allein, mit der Plastiktüte in der Hand, die ärmste Umwelt, nicht wahr?, kannst davon ausgehen dass sie dir weismachen werden die Nachhaltigkeit der Welt hänge von deiner Plastiktüte ab, kannst glauben dass du Bio essen musst damit der Erdölpreis nicht ins Schwanken kommt, kannst glauben dass der Biodiesel nur die Diät der Orang-Utans durcheinandergebracht hat und die Stabilität der Termitennester auf Borneo, als ob es wegen der Plastiktüten wäre, dass ein halbes Dutzend liebevoller Familienväter, ordnungsbewusster Herren, sich in Nahost in die Wolle kriegen, dass sich ordnungsbewusste Herren, liebevolle Familienväter auf Inseln weit im Westen zusammenhocken um eine weitere Zirkusvorstellung des Hasses, der Habgier und des Gemetzels auszurufen, im Namen der Weltordnung und der Zivilisation und Saddam ist an allem schuld, an deiner Arbeitslosigkeit, an deiner prekären Selbstständigkeit, deinem Part-Time-Job bei der Telekom, an deinem zehnten unbezahlten Praktikum in Folge, an deinem Bandscheibenvorfall am Schädel, deinem Master auf Raten, denn Saddam war ein Monster und sechs-, sieben-, achthunderttausend Menschen verdienen es wegen eines Monsters zu sterben, was für ein grausamer Betrug, nur ordnungsbewussten Monstern und Familienvätern gelingt es den Henker zum Opfer zu machen, du kannst davon ausgehen, dass die ordnungsbewussten Herren und liebevollen Familienväter ein Friedensabkommen via Satelliten-TV unterschreiben werden aus dem hervorgeht dass deine Kaiser's-Plastiktüte daran schuld ist dass heute wieder ein halbes Dutzend Fliegen gestorben sind, Frauen und Männer die mehr Wert sind als du, weil sie wissen, dass deine Plastiktüte der Abschaum, die Ausscheidung des Erdöls ist, so wie du der Abschaum dieses Systems bist,
stell dich darauf ein dass sie dir Glauben machen werden vor deiner Tür stünde ein Terrorist, wirst schon sehen wie gewieft sie sind, vergiss nicht, es war nicht Amerika das Hollywood erfunden sondern Hollywood das Amerika geschaffen hat,
ich weiß, du magst Märchen, die Terroristen wachsen heute Nacht in Neukölln heran, im 19. Arrondissement, im Slum Cova da Moura, denn sie sprießen wie die Pilze, ticktack, frame by frame, auf CNN, deine angesehene Tageszeitung wird dir garantieren, dass die Terroristen in deinem Kiez Kaffee trinken, sich heute Morgen zu dir an den Tisch gesetzt haben, dich höflich um Zucker baten während sie Selfies machten,
keine Sorge, denn der Staat schickt schon
telepathische Sonden
lichtempfindliche Dronen
gesponsert von der Marke Je suis Charlie und genau in der Größe deiner Ängste wird ein Terrorist entworfen, keine Sorge, das Ministerium für die Große Wahrheit wird über holotrope Nachrichten einen Terroristen unter deinem Kopfkissen verstecken, alles nur zu deinem Besten, während der Terrorist auf deinem Badezimmerteppich spazieren geht, verlangst du vom Staat Überwachungskameras für beide deiner Augen, Magnetstreifen und Chip-Implantate, damit du in Frieden leben kannst, sicherer, gelassener, damit deine prekäre wirtschaftliche Lage weniger kaputtgespart wirkt, ausgerüsteter ist, damit dein prekäres geistiges Wohlempfinden
wie soll ich sagen ...
noch segensreicher wird, ernsthaft mein Engelchen,
ich weiß ja, Kuwait müssen wir retten, und danach den Irak, Georgien, Srebrenica, Madonnas Falten und Ronaldos Hornhaut und was kann Allah schon gegen den Propheten McDonald's ausrichten, was dem makro-satellitischen Staat entgegnen?
Treibt mich nicht weiter vor euch her, es war nicht eine Welle des Atlantiks, die mich hergetrieben hat (mich und tausende andere), ich bin aus Porto hergekommen, hätte genauso gut aus Melilla, Ceuta, Lampedusa, Benim sein können, ich bin eine schwangere schwarze Frau, im Unterleib trage ich den Hunger von Jahrhunderten und den Stacheldraht den ich schlucken musste um hier anzukommen,
ich bin der durchsuchte nackte Körper an der Wand
bin der Schiffbrüchige aller Ozeane
und meine Lunge schwillt an
mein Mund spuckt Salz
denn ich atme unter Wasser
denn ich träume schon unter Wasser
denn wir träumen unter Wasser
aber mich kannst du noch nicht abschieben, noch nicht zur Staats-Pegida zählen, uns nennst du nur PIGS,
und ich gehe auf die Straße weil ich dieses endlose Warten nicht ertrage, ich gehe auf die Straße wegen des Paktes zwischen der Eurogruppe und Syriza, ich lehne die Bilder von der Welt ab, ich weigere mich die totgeborenen Träume dieser vermittelten Welt anzunehmen, denn die Welt ist nur Welt, wenn wir ihr mit der lebendigen Kraft unserer Leidenschaft begegnen, das ist meine eigenartige Heimat, kein Zoll den ich durchschreite nimmt mir das utopische Aufbegehren meiner Schritte und ich werde mich niemals als Flüchtling fühlen denn seitdem Platon die Dichter vertrieben hat, und Popper und Fukuyama zum Stück- und Spottpreis einkaufte, hat das Geplärre dieser Sklavenrepublik so an Niveau verloren dass es nicht einmal in meinen stumpfesten Träumen Gehör findet,

ja, ich habe tausende Plastiktüten in der Speisekammer, das Ozonloch ist unter meiner Matratze gewachsen, mein Opa hatte Büsten von Marx und Engels auf dem Fernseher stehen um die gestriegelten Nachrichtensprecherinnen zu überwachen und meine Oma pinnte den Buddha an den Kühlschrank um ihre Diät zu kontrollieren, und mit 7 Jahren fiel ich nicht mehr auf Idole und Religionen herein, denn wenn ein Bus auf der Straße vorbeikam und das Pflaster erbeben ließ, dann zitterten die Statuen, sie schwitzten, wurden kreidebleich, gerieten in Panik, und nachts hatten sie Angst vorm Dunkeln, pinkelten sich in die Hosen, denn ihr großer Traum war die allgemeine Erleuchtung, es lebe Eon, Vattenfall und der Dalai Lama, sonst nichts, rein gar nichts, nicht ein Fünkchen,
damit du jetzt im Dunkeln der Geschichte herumtappen kannst.

Der Vorhang fällt.

das hättest du wohl gerne, dass das Theater ein Ende fände, dass dein Drama ein Viertel Mann oder ein Viertel Frau zu sein (oder umgekehrt, Mannsfrau oder Trans ist hier egal) vorbei wäre.
Du willst zu dem Glauben finden, dass das Ende nah sei, und willst nicht bemerken, dass das Bild des nahenden Abgrundes eine Illusion ist, wie die Nachrichtensendungen der ARD. Du hättest gern einen immerwährenden Abgrund wie in den zirkulären Erzählungen von Borges, wolltest dich in Kreisen bewegen wie die vom Curupira verzauberten Mundurukus, wolltest ein Beruhigungsmittel, schöne Worte, eine Entschuldigung, ein Alibi,
was dir gefällt ist dir im Innersten vorzustellen wie du von einem hohen Gebäude fällst, dass ganze Metropolen in den Wunden deines Puders versinken und,
wenn du nahe daran bist aufzuschlagen
stellst du dir Apokalypsen vor und Nosferatu,
wie sie im Glasfasernetz deines Sado-Ma(so)cintosh laufen
jüngste Gerichte, perfekte Verbrechen
und dann wachst du auf und wünschst dir tief im Innern, dass in deinem Plasma Game Over erscheint, mit der Fernbedienung in der Hand oder dabei deinem Plüschtier einen runterzuholen, deinem Toystick, dir an deiner virtuellen Muschi herumzuspielen bis du zum G-Punkt kommst, was du willst ist deine Existenz zu sabotieren wie du es in den Spectrum-Spielen gemacht hast um unendliche Leben zu haben,
und wenn du morgens aufwachst ist dir etwas übel denn du hörst den Gesang des Totentanzes und bewegst die Oberlippen Unterlippen und es kommt nichts heraus, Stille, die ganze Zeit erwürgen sie dein Leben und du sagst schon nichts mehr, nicht mal ein Knacken im Hals, nicht mal einen Knochen brichst du um deinetwillen während du diesen immerwährenden Husten als Hintergrundgeräusch hörst, die Erkältung der Haut durch die Luft und der Luft durch die Wände, diese Tuberkulose vom letzten Jahr, verkeimter als die Fotze des Kultusministeriums, Land der Tuberkulose aus Berufung und nicht einmal das alljährliche time-sharing beim Strandbesuch der Algarven merzt die Viecher aus
ich tuberkulose, du tuberkulinst, wir Tuberkel
und denk nicht dran Regierungen zu stürzen denn so oder so leben davon schon viele, denk nicht dran die Yuppies und das Mittelmaß und die Unehrlichkeit und dieses ganze Pack von Männern und Frauen mit Krawatten die dem Kollegen von nebenan den Teppich unter den Füßen wegziehen um noch eine Stufe in der Universalgeschichte der Niedertracht und der Habgier aufzusteigen, denk nicht dran sie zum Teufel zuschicken,
was kümmert es dich ob die Träume deiner Kinder schon tot geboren sind, in Brüssel ausgeheckt und von Frankfurt in Umlauf gebracht, siehst du nicht dass die Träume deiner Kinder in Stacheldraht gewickelt sind? Soll das virtueller Stacheldraht sein? Nur in dem Maß wie er seinen eigentlichen Zweck erfüllt, deine Vorstellungswelt zu kontrollieren und an deiner Stelle zu sprechen wenn du antwortest: Es sind nur die Kinder der anderen.

ich will mein Kind,

mein Kind will ich

und dieses Land ist nicht sokratisch2 sondern schäbig, ein Land wie ein Spätverkauf, ein Land voller Vorhänge die aussehen als ob sie jeden Moment fallen, die Feuchtigkeit der Zierleisten verbreitet sich wie ein Körper der unter uns atmet, der unsere Haut erfasst sich bis ins Mark verinnerlicht, die Vorhänge bedecken die Furunkel mit Kreditkarten, den Käsefußgeruch des Geistes mit dem Autoleasing, die Engstirnigkeit mit der Gemeindeversammlung oder dem Pọstdoc,
hier
wo ich bin
sehe ich Schatten und Ruinen dieses Landes, das immer grauenhafter wird und wo man Lust hat alle Vorhänge auf einmal runterzureißen, und eine Generation die den Wert des Brotes nicht kennt, die nicht weiß dass dieses Land entsetzlich ärmer sein wird wenn in wenigen Tagen die letzte Mäherin stirbt
Adelina
Patrocínia
Galantina
Aduzinda
Natália
Prezentina,
eine Generation deren Tränen keine halbe Tasse Nespresso füllen, und Helena die alle Pferde3 Trojas ritt die Arterien sprengend, schwer wiegt die Flüssigkeit die sie in ihre Venen gab und einfrieren lässt sie ihren Körper,
der sie das Wundbrand gezeichnete Bein diesen Winter verstümmelt haben, die mich um 5€ bittet um die Beläge ihrer Krücken zu wechseln und ich antworte dass ich kein Geld habe und ich reiche ihr einen Gedichtband als ob dies ihren Hunger stillen würde, diesen ganz körperlichen Hunger des Entzugs, und selbst ich betrüge ihren Hunger mit Dichtung, (und eigentlich wünsche ich mir um mein Gesicht zu wahren dass Helena das Buch auf der Straße von Cedofeita zu Barem macht),
und daher
du,
der du der einzige Grund bist dass sie dich anzieh-trainieren, während du die Chroniken von Lobo Antunes liest und über dich selbst lachst mithilfe der ukrainischen Immigranten, von denen du verkündest es gäbe schon genug, mithilfe der Cousins die du in Beiras oder in Arcos de Valdavez4 vergessen hast, wie alle Leute unserer Generation das Landbrot vergessen haben, den Teig zu kneten und Chico Francês, ein ganzes Leben auf hoher See,um den Fisch zu beschaffen den du zu Munde führst, vor der Neo-Austerität, vor der Troika, noch vor den neuen Euphemismen zur kollektiven Verblendung, schon vorher wurde tausenden Fischern und Fischverkäuferinnen die Schlinge an den Hals gelegt, und du wolltest nichts sehen, und du hast dein Gesicht abgewandt,
ich steige die steilen Treppen hinauf und
zugleich
rufe ich: Chico!,
alles so verlassen, Unkraut, Sträucher, der Boden und die Wände von Feuchtigkeit durchdrungen, und fünf, sechs Stufen gestiegen, beginne ich zu sehen dass das Haus von Chico Francês am Ende eine elende Holzhütte ist vom Atlantik geschwärzt, faulig riechend, mit blauen und gelben Plastikresten geflickt, vor der Tür, auf dem Boden aus gestampftem Lehm, die Schüssel mit den Nudelresten vom Vortag für die ausgehungerten Katzen (wie viele Katzen werden wohl nötig sein um all die Ratten zu vertreiben die sich bereichern an der Misere?),
und Chico Francês wirkt gealtert, geht langsamer, trauriger, die Hosen schwarz, das schwarze Hemd von Motten zerfressen, der Bart noch nicht gemacht, seine Frau erscheint an der Tür mit nassem Haar, hatte noch keine Zeit es zu einem Knoten im Nacken zu binden, der alte Fischer kommt näher, fixiert mich mit diesen trüben Augen, vom grauen Star befallen, von Traurigkeit, von Meergeruch, vom Salzbelag der hohen See, beginnt mich wieder zu erkennen und drei Schritte vor mir bleibt er stehen und sagt: Ein Sohn ist mir im Meer gestorben. Einfach so. Denn mehr hat er nicht zu sagen. Sonst nichts. Sagt es mir auf's Gesicht zu: Ein Sohn ist mir im Meer gestorben. Er spricht zu mir, als ob er sich die Auferstehung des Sohnes von mir erwartete, als ob seine Machtlosigkeit und seine Leere sich klammern wollten, an was auch immer es sei. Er sieht mich mit traurigem Blick an, aber schlimmer als die Traurigkeit, er sieht mich an mit dem Blick eines Geschlagenen, mit dem Blick der Niederlage. Einfach so: dieses Leben hat mich besiegt.
Dieser Mann der Tag um Tag im Morgengrauen aufstand, der sich auf die hohe See begab bei Eiseskälte, den nicht einmal der Schnaps der in Augustos Kaschemme die Kehle herunterrutschte von innen erwärmte, der sich unzählige Male bekreuzigt hat bevor er die Netze ins Meer warf, dieser Mann der ein ganzes Leben gearbeitet hat, 50, 55, 60 Jahre, der Nacht um Nacht im Laderaum Wache hielt gehüllt in ranzige Decken, dieser Mann der die Fische gefangen hat die wir zu Munde führen, die du zu Munde führst, ist ein vom Leben Besiegter der in einer Holzhütte eines Landes namens Portugal wohnt.
Chico, ich habe nichts was ich dir geben könnte. Ich habe kein Wort das dir wiedergeben könnte was das Leben dir verweigert hat. Meine Worte sind keinen Heller wert. Nichts. Zögernd, reiche ich ihm eine Videokassette wie ich zuvor Helena den Gedichtband gab, wissend dass dies die nutzloseste aller Gesten ist. Während er die Kassette nimmt, stellt sich Chico Francês den eiskalten Puls seines Sohnes vor der ihm entgleitet, um in die Tiefen des Meeres zu entschwinden. Ich, ich lenke meinen Blick auf die Schüssel mit den Essensresten und wir verabschieden uns ohne einen Blick zu wechseln. Ich steige die Treppen hinab, die Gedanken aufgelöst vom Nebel, der vom Douro her den Geruch nach Schlamm, nach Ebbe und Kanalisation bringt.
Von weitem sehe ich Wäscheleinen nahe der Anlegestelle, Männer die mit Angeln verseuchte Meeräschen fangen, traurige gelähmte Tiere mit Schnurrbart und regenbemantelt.
Plötzlich, höre ich jemanden rufen, drehe mich um und von der Tür, an der bewegungslos seine Frau mit dem dicken Haar im Nacken verharrt, ruft er mir zu:

- Bin ich Ihnen noch etwas schuldig?

Geh jetzt, geh schon und schick deinen Lebenslauf an die Personalabteilung von Ikea

jetzt siehst du das Fundament der Stadt: das Gesicht Gottes und Luzifers: tausend Steine
tausend zerstörte Straßen tausend schillernde Wunden tausend ausgezehrte Hunde
es gibt die letzte Gefahr Stunden und Stunden damit zu verbringen den Tod der Worte zu beklagen,
den Tod der Welt,
aber den Tod der Worte zu beklagen ist noch immer Ideologie – die reinste Unschuld: zu glauben dass den Dingen ein Herz innewohnt wenn es gerade einmal ein im Herzen eingeklemmtes Wort gibt,
und erzählt mir jetzt nicht, das wäre nach dem Tod denn nach dem Tod und hinter dem Diskurs gibt es nichts weiter als einen fickenden Hund
du,
bist der einzige Grund warum sie dich anzieh-trainieren und dafür dass die verschwedete5 Industrie von den Plätzen verschwindet und in die Nation einfällt.
aber all dies ist Literatur, atme durch
atme und entspann dich
denn das sind alles frei erfundene Personen, Chico Francês, Saddam, Charlie, der Finanzminister, Genosse Fidel, alle lächeln sie Arm in Arm vor deiner Lomo, fehlt bloß die Krawatte damit alles hinhaut und wer weiß, vielleicht fängt Helenas Bein nächstes Jahr wieder an zu wachsen
und meine abgebrannten Taschen verraten mir,
uns
dass sie uns nur nicht Beine Arme Zunge verstümmeln
weil unser Wundbrand ganz woanders sicher aufgehoben ist
darauf wartet, dass die Tage vergehen.

Aus dem Portugiesischen von Pedro Costa und Camilla Elle

* Gebrüll
1 O Guardador de Rebanhos (Der Hüter der Herden) ist ein Gedichtzyklus und Schlüsselwerk von Alberto Caeiros alias Fernando Pessoa. (Anm. d. Ü.)
2 José Sócrates war von 2005-2011 Ministerpräsident Portugals und sitzt seit 2014 wegen des Verdachts auf Steuerhinterziehung, Geldwäsche und Korruption in Untersuchungshaft. (Anm. d. Ü.)
3 Pferd (cavalo): Jargon für Heroin (Anm. d. Ü.)
4 Landesinnere Portugals (Anm. d. Ü.)
5 Jogo de Sueca („Schweden-Spiel“) ist ein beliebtes Kartenspiel, das auf den Straßen und Plätzen Portugals gespielt wird. (Anm. d. Ü.)